[Disclaimer: „Frauen“ und „Männer“ bezeichnet auf Crow and Kraken alle Menschen, die ganz oder teilweise als Frau/Mann sind (Trans, Demi, Pan, Cis, Enby)]
Triggerwarnung
Rape Culture, Vergewaltigung
Ein paar Begriffe vorweg
Rape Culture: kulturelles Mindset, mit dem sexualisierte Gewalt ermöglicht, toleriert und entschuldigt wird
(Rape) Survivor, (Vergewaltigungs-)Opfer: Eine Person, die vergewaltigt wurde. Welche Bezeichnung bevorzugt wird ist von den Betroffenen selbst abhängig. In diesem Artikel werden beide Begriffe verwendet.
Sexualisierte Gewalt (nicht und niemals sexuelle Gewalt): Sexualisiert legt im Vergleich zu sexuell den Fokus auf die Gewalt, die eine Vergewaltigung darstellt. Sexuelle Gewalt trägt immer noch den Beigeschmack, dass eine Vergewaltigung Sex sei. Bei einer Vergewaltigung ist Sex aber ein Mittel zur Machtdemonstration und Demütigung. Wenn ich dich mit einem Messer absteche ist das Mord, nicht kochen.
Victim Blaming: zu Deutsch “Dem Opfer die Schuld zuweisen”. Verhalten, das dem Opfer eine (Mit)Schuld an der Vergewaltigung gibt, z.B. durch Kleidung, Alkoholkonsum, Aufenthaltsort, Nutzung eines Kondoms
„Ich wurde vergewaltigt.“
„Hattest du dabei etwa diesen Rock an?“
„Sie hat mich vergewaltigt.“
„Hä? Wie soll das denn gehen? Du bist doch ein Mann!“
„Sie wurde vergewaltigt.“
„Naja, war es wirklich Vergewaltigung? Ich meine, sie hatte Alkohol getrunken, da sagt man schnell mal ja zu etwas, das man am nächsten Tag bereut.“
„Er hat sie vergewaltigt.“
„Was? Niemals, ich kenne den, der ist ein guter Vater und ein echt netter Chef.“
„Ich weiß nicht, ob es eine Vergewaltigung war…“
„Na wenn du es nicht weiß, wie soll das denn ein Gericht wissen.“
„Ich wurde vergewaltigt.“
„Hat er ein Kondom benutzt?“
„Dann kann es gar keine Vergewaltigung sein.“
„Er hat mich vergewaltigt.“
„Hm? Aber er ist doch dein Freund, sonst hast du doch auch Sex mit ihm.“
„Er hat sie vergewaltigt.“
„Sicher? Ich meine, sie ist erst 14, da übertreibt man auch gerne mal…“
Klingt alles irgendwie vertraut? Da meldet sich die Rape Culture zu Wort. Und wir alle haben diese und andere Aussagen und Gesprächsfetzen auf die ein oder andere Art schon gehört, vielleicht sogar zugestimmt.
Rape Culture, zu Deutsch Vergewaltigungskultur, bezeichnet Verhaltensweisen, Reaktionen und Mechanismen innerhalb einer Gesellschaft, mit denen sexualisierte Gewalt toleriert, geduldet, gefördert und entschuldigt wird. Rape Culture beinhaltet auch eine Art Mythensammlung, wie sexualisierte Gewalt aussieht, gegen wen sie sich richtet und wer Schuld hat.
Auch wenn sexualisierte Gewalt kein Geschlecht kennt, also jeden Menschen (be)treffen kann, sind Frauen mehrheitlich Opfer davon. Die Mechanismen von Rape Culture sind eine besonders fiese Spielart des Sexismus, denn sie zielen darauf ab, Frauen zu diskreditieren, als Lügnerin oder Schlampe darzustellen, mindestens eine Mitschuld zu formulieren und sie letztlich zum Schweigen zu bringen. Rape Culture ist ein Instrument, um Macht und Kontrolle auszuüben. Opfer von sexualisierter Gewalt sollen nicht über ihre Erfahrungen sprechen und damit ein tabuisiertes Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Würde das Thema von sexualisierter Gewalt mit allen Spielarten und vor allem auch die Reaktionen und der Umgang damit öffentlich und ehrlich besprochen werden, würde das den gesellschaftlichen Frieden stören, denn auf einmal müssten sich vor allem Männer fragen, ob sie in der Vergangenheit in sexuellen Situationen wirklich immer korrekt gehandelt, oder ob sie sich auch mal über etwas (z.B. den Willen des Gegenübers) hinweggesetzt haben. Im Zuge von #metoo reflektieren Männer bereits bzw. werden dazu aufgefordert, aber die Abwehrreaktionen , vor allem im Internet, ist enorm. Sie spricht für sich selbst, denn die Reaktionen – Vergewaltigungsandrohungen, Herabsetzen von Frauen, strafrechtlich relevante Beleidigungen, Drohungen – unterstreichen nur das, was Betroffene unter dem Hashtag #metoo ansprechen und kritisieren.
Rape Culture ist ein umfassendes Problem in unserer Gesellschaft. Die Mindsets sind von allen Geschlechtern so tief verinnerlicht dass sogar Betroffene oft erst an die Mythen denken als an das Unrecht, das Ihnen widerfahren ist. Rape Culture sind die Androhungen von Vergewaltigung und anderer sexualisierter Gewalt, um andere, speziell Cisfrauen und Queere Menschen, zum Schweigen zu bringen, “ihnen ihren Platz zuzuweisen” und die eigene Machtposition, die eigene privilegierte Stellung innerhalb der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Rape Culture ist die Anerziehung von bestimmten Verhaltensweisen, damit Mädchen und Fraune das Risiko einer Vergewaltigung möglichst gering halten. Halten sie sich nicht an diese Verhaltensweisen, sind die mitschuldig oder komplett selbst Schuld. Sollten wir aber nicht viel mehr Jungen und Männern beibringen, Mädchen und Frauen nicht als willige (Sex)Objekte zu betrachten, die nur auf der Welt sind, um sämtliche Bedürfnisse von Männern zu befriedigen, sondern ebenso Menschen mit den gleichen Rechten?
Rape Culture sind die ganzen Mythen, mit denen sich Betroffene rumschlagen müssen, denen gegenüber sie sich immer erklären und rechtfertigen müssen, wenn sie ihnen nicht entsprechen. Ein paar dieser Mythen werden hier folgend aufgegriffen. Dennoch ist wichtig zu beachten, dass es von jedem Mythos diverse Spielarten gibt, hier nicht alle bearbeitet werden können und sie immer ineinandergreifen.
Mythos 1: Nur junge, hübsche, weiße Mädchen werden vergewaltigt. Männer kann man nicht vergewaltigen
Dieser Mythos bzw. Vorstellung eines Rape Survivors hält sich hartnäckig. Die Gesellschaft kann sich Frauen (von Männern wollen wir gar nicht erst anfangen) jenseits der 40 oder 50 nicht mehr als Vergewaltigungsopfer vorstellen. Ob bewusst oder unbewusst spielt da die gesellschaftliche Prägung rein, dass nur jung und schlank sexuell attraktiv ist, alle anderen Körperformen können nicht vergewaltigt werden.
Hübsch gilt in unserer durchgestylten Gesellschaft, wer folgendem Schönheitsideal entspricht: schlank/sportlich, weiß, i.d.R. lange Haare, an den „richtigen“ Körperstellen rasiert, modisch gestylt. Wer dem nicht entspricht ist nicht hübsch, ergo nicht sexuell attraktiv, ergo nicht vergewaltigbar.
Männer können laut Mythos sowieso nicht vergewaltigt werden, wie soll das denn gehen, da muss ja ein nicht unwichtiges Körperteil erigiert sein. Und das passiert doch nur, wenn man es will. Oder? Falsch. Ein erigiertes Glied kann, muss aber nicht mit dem Wunsch nach Sex einhergehen. Eine Erektion kann auch schlicht durch physische Reize erzeugt werden. Mal ganz abgesehen davon, dass Vergewaltigungen nicht zwingend eine Vagina und einen Penis involvieren müssen. Man kann ebenso anal und oral vergewaltigt werden, mit einem Penis, mit Sexspielzeug, mit allem, was eine Phallusform hat oder sich sonst in Körperöffnungen pressen lässt.
Vergewaltigung betrifft jede Gesellschaftsgruppe in jeder Gesellschaftsklasse: Frauen wie Männer, Mädchen und Jungen wie Erwachsene, weiße Frauen und WoC, Reiche und Arme, Dicke und Dünne…
Mythos 2: Wer vergewaltigt wurde, ist in sich gekehrt, still, bricht oft einfach in Tränen aus, fühlt sich schmutzig, hat für immer ein gestörtes Sexualleben, zieht nur noch Schlabberklamotten an…
Diese sehr genaue und damit sehr enge Beschreibung, wie sich ein Vergewaltigungsopfer zu verhalten hat – und deckt nur einen Bruchteil der Verhaltensweisen ab. Der Mythos zeigt auch, wie wenig Ahnung die breite Masse von Psychologie und Reaktionen auf belastende und traumatisierende Erfahrungen hat. In sich gekehrt sein, Zittern, Weinen, duschen wollen sind ebenso normale Reaktionen auf Stresssituationen wie lachen, entspannt wirken (heißt nicht, dass man es ist), mit Freunden weggehen, und ebenso normal wie auf einmal ein gesteigertes Bedürfnis nach Sex zu haben.
Welches Verhalten ist nach einer traumatischen Erfahrung “normal”? Antwort: so ziemlich jedes, denn jeder Mensch ist anders, jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Situationen. Sicher, es gibt Reaktionen, die häufiger sind als andere, aber du als Außenstehende_r hast so ziemlich null Recht, das zu bewerten und zu be- oder verurteilen.
Das große Problem bei diesem Mythos ist, dass er die Glaubwürdigkeit in den Augen der Gesellschaft betrifft. Wenn ein Rape Survivor diesem Mythos nicht entspricht, wurde sie_er dann überhaupt vergewaltigt? Wer vergewaltigt wurde, trägt doch keinen Minirock, oder? Und will doch auch keinen Sex. Und wieso lacht der?…
Du wurdest nicht vergewaltigt? Dann weißt du nicht, wie du reagieren würdest. Du bist kein_e Psycholog_in? Vor allem kein_e, die_der auf Traumata spezialisiert ist? Dann hast du keine Ahnung, welche Reaktionen “normal” sind.
Mythos 3: Wenn ein Kondom benutzt wurde, war es keine Vergewaltigung
Ich muss gestehen, dass mir dieser Mythos erst dieses Jahr über den Weg gelaufen ist. Das erste Mal in “Nichts, was uns passiert “ von Bettina Wilpert. Der Täter war davon überzeugt, dass es keine Vergewaltigung war, da er ein Kondom benutzt hat und das Opfer ja noch hätte intervenieren können. Dass die Frau vom Alkohol ständig ohnmächtig wurde, des Redens also höchstens bedingt mächtig war, ist egal.
Das nächste Mal begegnete mir diese Vorstellung auf Twitter, als ich von meinem Termin bei der Öffentlichen Rechtsauskünft berichtete. Nachfolgend Screenshots der Tweets.
Die Aufklärung über dieses Thema ist so wichtig. Das OPFER ist niemals schuld, in keinem einzigen Fall!