Am Wochenende war ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten auf dem CSD in Hamburg. In den letzten Jahren habe ich nur am Rand gestanden und zugeschaut, dieses Mal war ich mitten mang dabei. Es war sonnig und heiß, perfektes Wetter für eine Demo. Oder…Laufparty? Ich bin nach diesem CSD nicht sicher, wie ich mit dieser Veranstaltung umgehen soll.
Aber von Anfang an.
Vor allem wollte ich jemanden unterstützen, die mir wichtig ist, also lief ich mit ihr in einem (zum Glück) sehr politischen Block mit. Bevor wir uns selbst in den Zug einreihten, zogen einige der Trucks an uns vorbei, und da fing es schon an, in meinem Kopf zu rattern.
Love Parade? Schlagermove? CSD!
In den letzten Wochen gab es immer wieder Diskussionen, ob Unternehmen auf den Prides vertreten sein dürften, und die weit verbreitete Meinung ist: Sie haben da nichts verloren. Die CSD sind politische Demonstrationen – oder sollen es sein. Die immer stärkere Präsenz von Firmen wird als Ausverkauf gesehen. Zumal viele dieser Firmen im Rest des Jahres bedeutsam schweigen, was LGBTQ* Rechte angeht.
Mich stimmten auch andere Aspekte nachdenklich. Die Trucks der großen Firmen wie Otto, Haspa oder auch des Radiosenders Energy waren riesig, deutlich größer als die Wagen – wenn überhaupt vorhanden – von Gruppen, die noch immer für ihre Rechte, Sichtbarkeit und überhaupt Anerkennung ihrer Existenz kämpfen müssen, wie z.B. die Queer Refugees (1). Von diesen Monstern von Trucks dröhnte die Partymusik derart laut, dass politische Statements über simple Megafone nahezu komplett untergingen.
Die Trucks bereiten mit der Musik und den großen Anlagen den Boden für eine Party, die eigentlich eine Demonstration ist, inzwischen aber mehr was von Schlagermove hat und man auch nur noch an den Regenbogenflaggen erkennt, dass es sich doch um den Hamburger CSD handelt.
Eigenwahrnehmung, Fremdwahrnehmung, keine Wahrnehmung
Schaute ich in die Menge, fragte ich mich, wie der CSD eigentlich bei Otto Normalverbrauchern aufgenommen wird. Wie viele von ihnen wissen, dass der erste CSD eine Riot war, nachdem eine Schwulenbar in der Christopher Street 1969 von der Polizei gestürmt worden war? Vermutlich niemand.
Ich wusste, dass der CSD jedes Jahr vor allem wie eine grellbunte Partyschlange wirkt, überall tanzende, feiernde, singende Menschen, nicht wenige davon in knappen bis kaum vorhandenen Kleidung, in Kostümen, mit jeder Menge Glitzer. Es hat ein wenig von Schaulaufen. Und es sind genau diese Bilder, die in den Massenmedien verbreitet werden, weniger Fotos von Gruppen, die politische Statements rufen und auf den eklatanten Mangel ihrer Rechte aufmerksam machen.
Und so hatte ich das Gefühl, dass die umstehenden Menschen hauptsächlich diejenigen CSD-Teilnehmer*innen beklatschten und fotografierten, die eben jenem Klischee des “bunten, freakigen Homos” [sic!] entsprachen. Im Rahmen des CSD erwarten viele Umstehende bunte Dragqueens, halbnackte homosexuelle Männer, Butch Frauen, öffentliche Zuneigungsbekundungen, offen gezeigte Fetische, eben alles, was man sonst in den Kommentarspalten der Nation eher als (sehr diplomatisch ausgedrückt) anrüchig bezeichnet. Die Erwartungen wurden erfüllt. Und in eben diesem Rahmen des CSD ist die Toleranz, vielleicht auch die Akzeptanz da. Außerhalb der Pride Wochen? Nun, ich habe da so meine Zweifel. Denn dann sind alle wieder durchschnittlich gekleidet, nüchtern, im Alltagstrott. Dann muss man diese Personen, die Samstag noch mit Glitzer auf der nackten Brust vor einem tanzten, ja als Menschen wahr- und ernst nehmen.
Dass die Wahrnehmung schon auf dem CSD selbst sehr selektiv ist, was als noch akzeptabel und im Alltag vielleicht auch als angekommen gilt, merkte man vor allem daran, welche Mitlaufenden und welche Gruppen Applaus bekommen – und welche blöde Sprüche a la “Hier ist die Stimmung aber nicht so gut!”, weil eben politische Parolen durch’s Megafon gerufen wurden. Dieser Zwischenruf zeigt im Grunde überdeutlich, was von den Teilnehmer*innen des CSD und auch vom CSD selbst erwartet wird: Unterhaltet uns, seid laut, aber bitte lasst ernsthafte Politik weg!
Wer Fotos von und mit Kostümierten oder anders außergewöhnlich Gekleideten machen wollte, dem war es dementsprechend auch egal, dass andere Gruppen behindert und der ganze Zug aufgehalten wurde. Das Selfie mit dem bunten Schwulen in Glitzermantel und die eigene Demonstration der achso tiefen Toleranz für die LGBTQ*-Community ist wichtiger als die direkt dahinter laufenden trans und enby Aktivist*innen mit ihrem Transparent und ihren Forderungen. Diese Ignoranz gegenüber der Anwesenheit anderer marginalisierter Gruppen und dem Fakt, dass der CSD eigentlich eine Demonstration ist und kein Karnevalsumzug, relativiert die Relevanz dieser kleineren Gruppen, reproduziert dadurch das Unsichtbarmachen von marginalisierten Menschen, zeigt eine fast aggressive Gleichgültigkeit gegenüber ihren Ansprüchen.