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Titel: Freie Stücke | Herausgeberinnen: Sonja Eismann, Anna Mayrhauser | Verlag: Nautilus
Danke für das Rezensionsexemplar
Worum geht’s?
Anlässlich zum 10. Geburtstag vom Missy Magazine veröffentlichte die Redaktion – mit etwas Verspätung, wie sie selbst schreiben – eine Anthologie zum Thema Consent. Freie Stücke vereint verschiedenste Autor*innen unterschiedlichster Hintergründe und Erfahrungen. Das spiegeln auch die Texte wider, denn von autobiografischen Texten über Sachtexte zu fiktiven Stücken ist alles dabei.
Wie war’s?
Die Gefahr bei Anthologien ist immer, dass man nicht alle Texte mag. Manche der Texte findet man toll, sie geben einem etwas, und sei es nur kurze Unterhaltung. Andere will man direkt wieder vergessen.
In Freie Stücke hatte ich gleich mehrere Texte, die ich nicht nur schlecht, sondern auch problematisch fand.
Wenn ein Autor schreibt, ob er eine Situation rückblickend als Vergewaltigung einstuft oder nicht, hänge von seinem jeweiligen aktuellen Gefühlsmoment ab, ist das problematisch. Ich möchte niemandem absprechen, ein Survivor zu sein. Aber eine sexuelle Erfahrung mal so, mal so einzustufen, je nach Erfahrungsschatz und Empowermentstatus, – ich wiederhole mich – finde ich problematisch.
Im gleichen Text fantasiert der Autor mehrfach von Situationen, in der er Vergewaltigt wird. Am Ende der zweiten Fantasie schreibt er „Nie wieder könnt ihr meinen Konsens brechen, denn ich gebe ihn.“ Ich will nicht die Legitimität der Fantasien absprechen, oder diese Reaktion auf eine Vergewaltigung. Verstörend ist es nicht minder, und den ganzen Text ohne Triggerwarnung abzudrucken ist – you guess it – problematisch, und auch gefährlich. Zu einem früheren Zeitpunkt, als ich noch nicht wieder so gefestigt war wie jetzt, hätte mich dieser Text maximal getriggert. Ich bin auch jetzt nach einem kurzem Überfliegen wieder verstört und habe Herzrasen. Eine Anthologie, die sich um Consent dreht, sollte soweit denken, dass Leser*innen ihren Consent zu potenziell triggernden Texten geben können und nicht einfach hineingeworfen werden.
Einen anderen Text finde ich, sehr diplomatisch gesagt, realitätsfern. Problematisch ist hier das falsche Wort. Die Autorin wünscht sich, dass „wir nachfragen, bevor wir uns in unsere charmantesten Alter Egos verwandeln und in jemandes Leben eindringen.“ Sie will darauf hinaus, dass man jemanden erst fragen soll, ob und was man dieser Person erzählt, um diese Person nicht in die Gefahr zu bringen, sich unglücklich zu verlieben. Jede*r, di*er schon mal den Schmerz eines gebrochenen Herzens gespürt hat, weiß, dass er einen zerreißen kann – und dass man diesen Schmerz möglichst nicht noch mal fühlen will. Insofern scheint die Forderung der Autorin naheliegend. Aber wann wird aus einer flüchtigen Bekanntschaft Freundschaft, wann aus einer Freundschaft mehr? Das kann man einfach nicht steuern.
Aber genug Gemotze. Neben diesen beiden meiner Meinung nach katastrophalen Texten gab es auch so viele tolle. Mithu Sanyals Text It takes two to have Tea über eine toxische Beziehung und #metoo ist einer der stärksten in der Anthologie. Sehr berührt hat mich auch Tu es, aber wenn nicht, lass es bleiben von SchwarzRund über eine sich anbahnende lesbische Beziehung zwischen einer BlPoC und einer Weißen, und letztere tappt immer wieder in Rassismen hinein. Dennoch fühlt sich die Schwarze Protagonistin zu ihr hingezogen und überlegt, wie sie sich verhalten und entscheiden soll.
Insgesamt kann ich Freie Stücke wirklich empfehlen, einfach weil man nie, Nie, NIEMALS alle Texte in einer Textsammlung mögen wird. Ich würde mir allerdings für die zweite Auflage durchaus eine Triggerwarnung für Schuld, Unschuld und Deutschland wünschen, weil dieser Text sehr gewaltvoll und sogar bei quasi ausgeheilten Traumata noch triggernd wirken kann.