Titel: Das Haus der Frauen | Autorin: Laetitia Colombani | Übersetzerin: Claudia Marquardt | Verlag: Fischer
[Triggerwarnung: Suizid, Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung, Missbrauch, Verstümmelung]
Worum geht’s?
Solène ist erfolgreiche Anwältin. Als einer ihrer Mandanten nach einem verlorenen Prozess vor ihren Augen Selbstmord begeht, stürzt sie das nicht nur in eine tiefe Depression, sondern auch in eine Lebenskrise. Ist Anwältin ihr Traumjob, in den sie zurückkehren möchte? Oder hat sie sich in all den Jahren nur etwas vorgemacht?
Um eine Pause von dem Gedankenstrudel zu bekommen, nimmt sie nach einiger Überwindung eine Stelle im Haus der Frauen an, einem Zufluchtsort für Frauen, die irgendwann dort gestrandet sind, dort zu Atem kommen können, bevor sie sich wieder in die große Welt trauen. Hier trifft Solène auf Schicksale, die sie bisher nur aus den Zeitungen kannte. Die Frauen stehen Solène, die aus einem privilegiertem Leben zu ihnen kommt, zunächst skeptisch gegenüber, und sie will ein ums andere Mal aufgeben…
Wie war’s?
Viel. Sagen wir es mal so. Es ist…viel.
Auf 250 Seiten werden unzählige Frauenschicksale vorgestellt, angefangen bei Solène und ihrer schweren Depression über eine Mutter, die mit ihrer Tochter kurz vor deren Beschneidung floh, bis hin zu einer ehemals Obdachlosen, die 54 mal vergewaltigt wurde. All diese Geschichten werden nur oberflächlich angerissen, die paar Sätze werden den Frauen dahinter vermutlich kaum gerecht.
Solènes Depression tritt immer wieder in den Hintergrund, wird fast vergessen, um dann wieder deutlich gebessert hervorzukommen. Man muss sich quasi selbst zusammenreimen, dass all die Ereignisse im Haus der Frauen über mehrere Wochen passieren. Auch die anderen Geschichten reihen sich eher wie Perlen an eine Kette, aber ohne größeren Tiefgang. Ich war mir nicht sicher, ob ich das gut oder schlecht finden sollte, denn ich bin ebenfalls von Depression und Vergewaltigung betroffen, und solche Erfahrungen so abzutun finde ich etwas heikel.
Aber! Hier kommt das große Aber: Durch die Dichte an Frauenschicksalen an sich, durch die geballte Summe auf vergleichsweise wenigen Seiten wird deutlich, auf wie vielfältige Weise, global flächendeckend und wie oft Frauen mit Unterdrückung, Gewalt und Tod konfrontiert sind. Und darum geht es meiner Meinung nach in diesem Buch. Nicht darum, einzelne Geschichten tiefgehend zu erzählen, sondern diese schiere Wand an globaler Misogynie und potenziell tödlicher Gewalt an Frauen zu zeigen. Denn auch wenn die einzelnen Charaktere und ihre Geschichten oberflächlich angerissen werden, der Inhalt schockiert jeden. Es sind alltägliche Gewalttaten, von allen haben wir schon gelesen und gehört, kenne vielleicht sogar ein oder zwei persönlich. Man sieht all die Diskriminierungsformen allerdings selten so nebeneinander gestellt. Keine Geschichte der einzelnen Frauen ist “schlimmer” oder “weniger nachvollziehbar” als die andere, sie sind alle ebenbürtig mit ihren Schrecken und Erfahrungen.
Was mich im Laufe des Buches mehr gestört hat waren die Sprünge in die Vergangenheit zur Gründerin des Hauses der Frauen, Blanche Peyron, und ihrem Mann. So beeindruckend ihre Geschichte war, sie las sich…ein büsch’n dröich. Ich wollte diese Kapitel immer schnell hinter mich bringen, weil mich die Geschichten der Gegenwart so sehr fesselten und ich wissen wollte, wie es Solène und den anderen Frauen ergeht.
Das Ende ist mir ein wenig zu kitschig. Ernsthaft, Weihnachten, eine von Solène gerettete Frau, analog zu der Gründerin des Hauses, die eine Frau retten wollte und darum das Haus gründete…naja.
Letzter Minuspunkt: es wird auch die Geschichte einer trans Frau erzählt, und da den (wenn auch fiktiven) Deadname zu erzählen finde ich daneben. Es ist eben der falsche Name, und durch Fiktion lassen sich sehr reale Muster festtreten: z.B. einen trans Menschen vorzustellen und auch den Deadname zu nennen (“Das Ist Lydia, aber bis vor zwei Jahren hieß sie noch XYZ”), oder völlig selbstverständlich nach dem Deadname zu fragen.
Insgesamt war Das Haus der Frauen toll. Trotz der vielen düsteren Aspekte hat es Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Nicht aus einem voyeuristischen Aspekt heraus, sondern zu sehen, wie die einzelnen Frauen mit ihren eigenen Geschichten langsam wieder Tritt fassen, und auch wegen der schieren Wucht an Lebensgeschichten, die einen trifft.