Titel: Marianengraben | Autorin: Jasmin Schreiber | Verlag: Eichborn
Danke für das Rezensionsexemplar
Worum geht’s?
Paulas geliebter kleiner Bruder ist tot. Er ertrank in seinem liebsten Element, dem Meer, er kam einfach nicht mehr zurück aus dem Urlaub. Für Paula bleibt die Welt stehen und sie sinkt auf den Grund ihres eigenen Marianengrabens. Alles steht still, Paula steht still, denn wenn sie sich regt, brüllt ihr der Schmerz über Tim, der nicht mehr da ist, entgegen.
Nachdem sie eine Empfehlung ihres Therapeuten kreativ umsetzt, trifft sie auf dem Friedhof Helmut. Soweit, so normal – wäre es nicht mitten in der Nacht, Paula im Zwiegespräch mit Tim und Helmut nicht dabei, die Asche seiner Freundin Helga auszubuddeln und zu klauen. Die beiden begeben sich mit Hündin Judy auf einen Roadtrip in die Alpen, und langsam, ganz langsam überlegt Paula, ob sie nicht wieder aus ihrem Marianengraben auftauchen kann
Wie war’s?
Der Roman ist wie der namensgebende Meeresgraben: Tief, vermeintlich ruhig und fesselnd.
Einen Roman über Trauer zu schreiben, und nicht nur über irgendeine Trauer sondern über die über den Verlust des liebsten Menschen, ist eine Herausforderung. Schrecklich peinliche Klischees geben sich die Klinke in die Hand mit abgedroschenen Sprachbildern. Und dann kommt Marianengraben und wirft all diese Bedenken mit einer Wucht über Bord und zieht einen in die Geschichte, dass man nur noch gespannt weiterlesen kann.
Für die Sprache fehlt mir dennoch die meine, Marianengraben ist wunderschön geschrieben. Eine seltene Sprachgewalt, die das Gefühl der Depression, dieser verf***ten Leere, die einen lähmt, dieses Vakuums, das einen Handlungsunfähig macht, so perfekt und nahbar wiedergibt, wie ich es selten erlebt habe.
Man meint, bei einem so ernsten Thema dürfe man auf keinen Fall lachen. Aber was tun, wenn man der Schmerz einen so tief in die Depression presst, dass es kein Vor und kein Zurück gibt? Schreiber bringt einem die alles zerfressende Trauer so nah, man spürt Paulas Verzweiflung und auch den Wunsch, sich nicht zu viel oder zu lange zu erinnern, weil das immer wieder mit der Faust in der Magengrube endet: Tim ist nicht mehr da.
Und dann passiert das, was man bei Trauer, diesem bierernsten Thema doch eigentlich gar nicht darf. Es wird gelacht. Schallend. Zumindest auf Leser:innenseite. Auch im Buch, aber etwas leiser. Ob nun die Hündin Judy rückwärts ins Wohnzimmer gehen muss, weil sie sonst Angst hat, oder die Vorstellung, dass ein invalides Huhn auch mit zur Reisegruppe gehört – es ist eine warme Skurrilität, die Paula und Helmut durch ihre Geschichte begleitet. Der Humor macht das Thema nicht weniger herzzereißend, und ich musste ein ums andere mal zum Steinerweichen flennen. Ich bin eine große Schwester. Allein der Gedanke daran, eins meiner Geschwister könnte nicht mehr da sein, treibt mir die Tränen in die Augen. Aber die kleinen und großen Schmunzler und das Lachen zwischendurch zeigen nicht nur Paula, dass man auch wieder auftauchen kann aus den Tiefen einer Depression – auch wenn sie über 11 Kilometer tief ist.
Marianengraben ist ein – Achtung, das verteile ich nicht oft – Lesehighlight des Jahres. Wenn ihr das Buch noch nicht gelesen habt, dann holt das schleunigst nach.
Hallo,
eine sehr schöne Rezension!
Ich habe gerade erst ein Buch gelesen, das mich emotional durch die Mangel drehte, weil es unglaublich berührend über Trauer spricht (“Kostbare Tage” von Kent Haruf). Obwohl auch das durchaus humorvolle Elemente hat, habe ich geheult wie ein Schlosshund.
Ich glaube, ich brauche erstmal eine Pause, bevor ich mich wieder mitten in dieses literarische Minenfeld stürze, aber “Marianengraben” kommt derweil auf die Merkliste!
LG,
Mikka