Titel: Toxische Macht | Autor: Christian Linker | Verlag: dtv
Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!
Worum geht’s?
Corona ist im Griff, endlich. Aber es tut sich was in der Politiklandschaft: die neue Partei FUTURE zieht die Menschen an, ihre Spitzenkandidatin auf die Bundeskanzerlinnenkandidatur Coco wirkt auf andere fast wie eine Heilsbringerin mit ihrer Idee der neuen Langsamkeit. Es ist einen Tag vor der Wahl, Coco will sich noch einmal zurückziehen und über die letzten Monate nachdenken, die ihr Leben auf den Kopf gestellt haben. Und es gibt nur einen, den sie jetzt sprechen will: ihren Exfreund Maikel, der mit ihr bei Future war, inzwischen aber für eine nationalistische Stiftung arbeitet und rechte Positionen vertritt. Und die Rechten wollen Coco aus dem Weg haben, um jeden Preis…
Wie war’s?
Worum geht es eigentlich in Toxische Männlichkeit? So genau kann man gar nicht den Finger drauf legen. Geht es um Coco und ihre Idee der neuen Langsamkeit? Geht es um Coco und ihren Ex Maikel? Geht es um Maikel und die Rechten? Geht es um den Politikbetrieb und die subtile Frage, ob er nicht irgendwann doch jede*n korrumpiert?
Es gibt in dem Buch nicht einen Charakter, der auch nur ansatzweise sympathisch ist. Coco ist jung und stolpert mehr aus Versehen und bisschen auch aus Ego an die Spitze der Partei und schließlich zur Kanzlerinnenkandidatur. Womit eigentlich? Mit Inhalten jedenfalls nicht. Alles, was sie von sich gibt, ist emotionsgeladen, sie ist am Ende des Tages nichts anderes als eine Populistin. Für die eher linke Seite zwar, ja, aber immer noch Populistin.
Sie sagt auf ihren Wahlkampftourneen, dass sie alle mitnehmen möchte, aber die neue Langsamkeit an sich ist schon etwas, das nur wenige, privilegierte Menschen während der Pandemie erleben konnten. Die Mehrheit musste entweder weiter arbeiten oder sah sich mit Existenzängsten sondergleichen konfrontiert. Aber Coco hat Erfolg. Ganz eindeutig. Was, zumindest in der Fiktion, zeigt, dass Populismus auch bei der angeblich so inhaltsinteressierten und populismusgegnerischen Linken zieht.
Davon abgesehen ist Coco wie ein Abziehbild heutiger Politiker. Veruntreuung, wenn auch in kleinem Maße, stabil den Praktikanten vögeln und auch sonst hat Coco schnell die gängige Praxis des Politikbetrieben in sich aufgesogen. Vielleicht soll sie ein weibliches Abziehbild sein, ich weiß es nicht.
Dann ist da noch Maikel, ihr Ex-Freund. Er hat sie in die Partei geholt, er hat sie ermutigt, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Als sie es dann wird, scheint er mehr und mehr in seinem Ego verletzt. Zu Beginn des Buches wird er als argumentationssicherer Linker vorgestellt, mit Prinzipien und Idealen. Die scheint er nach einem Besuch bei ein paar Incels, dem Erfolg und später dem Betrug seiner Freundin mir nichts, dir nichts über Bord zu werfen. Für einen linken cis Typen, selbst mit fragilem Ego, geht mir das etwas zu schnell, es ist fast schon unrealistisch. Vor allem schwenkt er am Ende des Buches wieder in die andere Richtung. Es macht ihn zu einem Opportunisten, zu einem Fähnchen im Wind, das er zu Beginn des Buches nicht war – und das Ende seiner Beziehung reicht mir nicht, um diesen Gesinnungswandel zu rechtfertigen. War er nur kurz auf Abwegen? Dann waren die aber ziemlich extrem…
Fazit
Und wisst ihr was? Toxische Macht ist großartig! Ich habe Monate (ja, Mo.Na.Te) gebraucht um zu verstehen, warum das Buch für mich auch ohne sympathische Charaktere und knallrote, straighte Story funktioniert: Es ist ein Spiegel. Dass Christian Linker diesen Spiegel zu einer Zeit geschrieben hat, als Impfungen noch ein frommer Wunsch waren, zeigt umso deutlicher, was für ein Kaliber an Autor er ist. Vieles von dem, was er schrieb, ist eingetreten.
Erinnert ihr euch noch, wer im Wahlkampf die meiste Kritik und vor allem mit Abstand am meisten Hate abbekommen hat? Richtig. Die einzige Kandidatin, jung noch dazu: Annalena Baerbock. Die Rechten hatten sich auf sie eingeschossen, die anderen Parteien sowieso, und warum sollte man sich mit millionenschweren Skandalen wie den Masken von Spahns Lebensgefährten aufhalten – Pillepalle – wenn man sich tagelang daran aufhängen kann, dass Baerbock in ihrem Buch eine Fußnote falsch gesetzt hat? DAS sind doch die Fehler, die eine Gesellschaft so richtig ins Dixi-Klo reiten – oder nicht?
Zurück zum Buch, dem Spiegel der aktuellen Situation. Was fehlt, sind die Impfgegner*innen, aber im Buch hat man Corona ja tatsächlich auch geschlagen und nicht durch Impfverweigerer*innen noch Tür und Tor geöffnet. All das, was ich so schwer fassen konnte, was ich nicht zusammenbringen konnte unter “So, darum geht es hier” sind genau die Aspekte, die jetzt immer wieder in mir nachhallen. Unser derzeitiges Leben, unsere Gesellschaft gestaltet sich derzeit ziemlich genau so: junge Politiker*innen, die nicht cis männlich und am besten noch konservativ sind, werden regelmäßig angegriffen. Die Rechte ist kein gewaltbereiter, aber am Ende lahmer Haufen mehr wie die NPD in den 00er-Jahren. Sie sind viel zu stark geworden, und Dank Menschen wie Sahra Wagenknecht, die aktiv die Grenze zwischen sehr weit link und verdammt rechts verwischt (kommt mir bitte nicht mit der Hufeisentheorie!), kommen sie auch immer weiter in die Mitte, in alle Gesellschaftsschichten, in alle Subkulturen.
Einziger Kritikpunkt bleibt Maikel. Seine Anwandlungen sind mir ein büschn zu extrem, auch wenn man natürlich argumentieren kann, dass verletzte fragile Männlichkeiten sehr schnell sehr extrem werden können.
Dieses Buch ist gruselig in seiner Treffgenauigkeit der aktuellen Umstände – und hoffnungsvoll, dass die junge Generation eben doch mehr in der Politik reißen wird, als alte weiße Männer ihnen derzeit zutrauen.