[Rezension] Angie Thomas – The Hate U Give

[Rezension] Angie Thomas – The Hate U Give

Titel: The Hate U Give
Autorin: Angie Thomas
Verlag: Balzer & Bray (CBJ in Deutschland)
Jahr: 2017
ISBN: 978-0-06-249853-3

Worum geht’s?

Starr ist 16, geht auf eine Privatschule und lebt in einem, wie sie selbst oft sagt, Ghetto. Gangkriminalität, Drogen, Schießereien gehören im Grunde zum Alltag. Eines Abends ist sie mit ihrer Schwester auf einer Party, flüchtet aber mit ihrem besten Freund Khalil, nachdem es zu einer Schießerei kommt. Auf dem Heimweg wird Khalils Auto von einer Streife angehalten, und von Officer 1-15, wie Starr ihn nennt, erschossen.
Im Folgenden berichtet Starr was es bedeutet, die Augenzeugin eines solchen Vorfalls zu sein, wie sie versucht mit den psychischen Folgen umzugehen, über ihre Zerrissenheit zwischen zwei Welten – ihre Privatschule mit weißen Freunden auf der einen und ihrem Viertel mit schwarzen Freunden und Familie auf der anderen Seite. Und sie berichtet, wie es politisch weitergeht, wie über sie und Khalil in den Medien berichtet wird und sie muss entscheiden, welche Rolle sie spielen will.

Wie war’s?

Thomas hat eins der wichtigsten politischen Themen aufgegriffen, das die USA derzeit bewegt: Black Lives Matter. Ich kann nicht beurteilen, wie gut sich Schwarze in diesem Roman repräsentiert fühlen, aber eins ist Thomas definitiv gelungen: sie hat mich als weiße (und Nicht-Amerikanerin) nicht nur abgeholt, sie hat mich voll in diese politische Bewegung reingezogen. Sie zeigt nicht nur die Seite der wütenden Proteste und der verzweifelten Angehörigen im Fernsehen, die teilweise auch in Europa kurz gezeigt werden. Sie beschreibt, was noch alles dranhängt: Familien können auseinanderbrechen, Freundschaften zerbrechen, es gibt psychische und vielleicht auch gesellschaftliche Folgen für Angehörige und Zeugen. Es ist verstörend, sich so ohnmächtig zu fühlen, so wütend und doch nicht gehört zu werden – und ich habe genau diese Ohnmacht beim Lesen gespürt.

Auch wenn ich das Gefühl habe, dass einer der weißen Charaktere als stereotype Antagonistin eingeführt wurde, weiß ich, dass es derartig ignorante, rassistische weiße Vollpfosten gibt, die von sich selbst Stein und Bein schwören, nicht rassistisch zu sein, und eingeschnappt sind, wenn man sie auf ihren Rassismus hinweist – und dann auch noch die Frechheit besitzen, eine Entschuldigung zu erwarten. In diesem Sinne passt diese Person perfekt in die Geschichte, ebenso wie der weiße Freund, der immer versucht, Starr zu verstehen.
Es ist ein Jugendroman, da darf auch gerne etwas zu schön sein um wahr zu sein, und im Gegensatz zu den Boyfriends, die man aus vielen anderen Jugendromanen kennt, ist Starrs Freund eben kein Arschloch. Es gibt realistische Beziehungskonflikte, die auf eine realistische Weise angegangen werden.
Starrs Familie und Umfeld sind komplex ausgearbeitet, teilweise sehr herzlich, teilweise konfliktbeladen. So ernst und wichtig das Thema ist, diese Charaktere machen den Großteil der Geschichte aus und Buch so großartig.

Wie verhält man sich in Gegenwart eines Polizisten?

In Kapitel 2 erzählt Starr: „When I was twelve, my parents had two talks with me. One was the usual about the birds and bees… The other talk was about what to do if a cop stopped me.” (S. 20)
Ihr denkt, das sei übertrieben? Ist es nicht. Anfang des Jahres machte ein Video auf den Social Media Kanälen die Runde, in dem Schwarze Eltern ihren Kindern erklären, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie von der Polizei angehalten werden. Ich habe damals fast geheult.
Meine Eltern haben mir als Kind auch erklärt, ich soll immer nett zur Polizei sein. Einfach weil „es sich gehört“. Nicht, weil mein Leben davon abhängt. That’s the privilege of being white…

No YouTube Video ID Set

Was sind das bitte für Kritikpunkte?

Im Internet bekommt das Buch auch einige Kritiken.

Mimimi, keine weiße Perspektive, mimimi

Eine, die ich selbst nicht gesehen habe, die aber (zu recht) empört von anderen wiedergegeben wurde: Die weiße Perspektive fehlt. Bitch, please?
Erstens gibt es die weiße Perspektive – die Medien dürfen sich nämlich einfach ein Urteil über Khalil erlauben, es spricht sogar der Vater vom Polizisten. Khalils Familie wird nicht gefragt, er wird einfach abgestempelt. Zudem bringt Starrs weißer Freund etwas weiße Perspektive rein, denn er versteht manchmal nicht, welche (inneren) Konflikte Starr als Schwarze ausfechtet.
Zum anderen haben sich auch außerhalb des Buches weiße erschöpfend zu Black Lifes Matter geäußert und haben manchmal mehr Aufmerksamkeit bekommen als diese Bewegung selbst. Es reicht.
Und als letztes und am wichtigsten: ES GEHT HIER UM ERLEBNISSE VON SCHWARZEN, WAS SOLL DA EINE WEISSE PERSPEKTIVE, VERDAMMT? Die hätte das Gefüge der Geschichte nur gestört, und ich fand es ungemein spannend, endlich eine nicht-weiße oder weißgespülte Perspektive zu lesen. Was wollen mir weiße denn bitte über die Gefühlswelt einer Schwarzen Frau erzählen, die gesehen hat, wie ihr Schwarzer bester Freund von einem weißen Polizisten erschossen wird? Die schon ihr ganzes Leben in einer völlig anderen, von Rassismus geprägten Realität lebt als ich weiße Kartoffel?
Nein, ich bin sehr froh, dass es eben keine explizite weiße Perspektive gibt.

Reverse Racism

Eine Rezension auf Amazon wirft dem Buch „Reverse Racism“ vor.
Ich weiß nicht, wie ich es fellow white potatoes beibringen soll, ihr müsst also sehr stark sein: Sowas wie umgekehrte Diskriminierung gibt es nicht. Rassismus bezeichnet strukturelle Diskriminierung, von der weiße einfach nicht betroffen sind. Reverse Racism (oder umgekehrte Diskriminierung) wird von weißen gerne als Scheinargument angeführt, um Aktionen, die helfen sollen, Rassismus aufzuheben oder zu bekämpfen, zu unterminieren und sich dann als Opfer darzustellen.
Ein Beispiel sind z.B. Safe Places an Colleges. Eine Gruppe von ausschließlich PoC Mitgliedern trifft sich, um sich über rassistische Erfahrungen austauschen zu können, ohne Angst haben zu müssen, von anwesenden weißen niedergeschrien, angegriffen oder durch (un)bewussten Rassismus wieder diesem ausgesetzt zu sein. Das kritisieren weiße als Rassismus, da sie aufgrund ihrer Hautfarbe ausgeschlossen werden. Ebenso kritisieren Männer, dass es Women Only Gruppen gibt, die sich bspw. über Sexismus und/oder sexuelle Übergriffe austauschen wollen – und Männer da nun mal keinen Zutritt haben. Es wird Diskriminierung geschrien, und damit das Ursprungsproblem negiert.

Hätte das nicht ein erfahrener Mann schreiben können?

Aus einer anderen Amazon-Rezension: „Dennoch denke ich dass diese Geschichte in den Händen eines besseren und erfahreneren Autors vielleicht ein wenig besser aufgehoben gewesen wäre als bei einer Erstlings-Autorin.“
Wow. Ich habe Schnappatmung von dieser Arroganz.
Besserer und erfahrener Autor? Let me guess: Weiß und im mittleren Alter? WHAT. THE. FUCK!
Mal abgesehen davon, dass Thomas ein wirklich tolles Buch geschrieben hat – warum sollte eine Debut-Autorin sich nicht dieses Themas annehmen? Zumal sie ja ganz offensichtlich Ahnung von dem Thema hat?

Zum Schluss

The Hate U Give hat mich umgehauen. Es ist bisher das unangefochtene Jahreshightlight bei Romanen.

Habt ihr das Buch gelesen? Wir fandet ihr es? Wenn nicht: Lest es!

Weitere Rezensionen

Hanna (mit ihr habe ich das Buch als Buddyread gelesen)
Herr Booknerd

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42 thoughts on “[Rezension] Angie Thomas – The Hate U Give

  1. Einfach wow.
    Du hast es einfach auf den Punkt gebracht. Die Geschichte, und zwar genauso wie Angie Thomas sie rübergebracht hat, hat mich unendlich doll bewegt.
    Ich kann mich nur anschließen, ein absolutes Highlight.
    Eine wundervoll ehrliche und treffende Rezension, danke dafür.

    Liebste Grüße ❤ Jill

  2. Hey!
    Eine sehr tolle und informative Rezension, danke dafür.
    Ich werde das Buch bald (auf Englisch, hoffentlich klappt es gut) lesen und bin sehr gespannt.
    Die aufgeführten Kritikpunkte kann ich NULL nachvollziehen. Letztendlich gibt es immer Menschen, die etwas zu meckern haben. Keine Diversity, zu viel Diversity, falsch dargestellt, Autor zu jung, Autor zu alt, bla bla. Manchmal glaube ich, dass viele Menschen verlernt haben einfach zu lesen und alles überdramatisieren müssen. Es vielleicht sogar etwas fehlen würde, wenn das Meckern ausbliebe.

    Liebe Grüße,
    Nicci

    1. Ahoi Nicci!
      Das Buch lässt sich mMn sehr gut auf Englisch lesen. Es kommt zwar Slang drin vor, aber daran gewöhnt man sich nach wenigen Seiten.

      Ich habe in einem meiner Feminismusbücher gelesen, dass wir inzwischen tatsächlich nicht einfach mehr konsumieren können, sondern alles einer kritischen Betrachtung unterziehen müssen. Es ist einfach verinnerlicht. Ich bin sehr für Kritik bzw. kritisches Hinterfragen, aber bei manchen Büchern wird das Haar in die Suppe geworfen, wenn man erstmal keins findet, und das nervt. An THUG gibt es nichts auszusetzen. Kein Plan, was die Leute erwartet haben oder sich vorstellten…

      Viel Spaß beim Lesen 🙂

      Cheerio
      Mareike

      1. Okay, ich bin gespannt 🙂

        Ich finde, dass das irgendwie total zwiegespalten ist, viele Menschen konsumieren ohne jegliches Hinterfragen, kaufen bei Primark ein, essen billigstes Fleisch, sind gleichzeitig bei Büchern super pingelig und schwingen direkt die Heugabeln. Es gibt Blogger (ich möchte keine Namen nennen, nur damit ich ein konkretes Beispiel habe), die sich an beleidigenden Wörtern aufziehen, man dürfe dumm, schwachsinnig etc. nicht einfach so gebrauchen, kritisieren Bücher aufgrund des schlimmen Frauenbildes (ich hab das Buch gelesen und suche es immer noch), machen da richtige Dramen draus, fordern zur Veränderung auf, posten aber Fotos wie sie bei Primark eskalieren. Einen angemessenen Mittelweg fände ich dabei toll.

        1. Haaaa…ich gehe bei deinem Argument nur tlw. mit.
          Von vorne: ja, ich bin der Meinung, dass man durchaus weniger hitzig über bestimmte Bücher und deren zweifelhaften Frauenbilder sprechen kann. Allerdings zu sagen, wenn sie das kritisieren, sollen sie bitte auch nicht Primark kaufen und auf Aldi-Fleisch verzichten sind zwei paar Schuhe. Viele Menschen können sich eben nur das leisten, weil sie schlichtweg arm sind. Und Armut und die sich daraus ergebenden Konsumfolgen sollten kein Grund sein, nicht andere Sachen kritisieren zu dürfen.
          Ich war auch schon bei Primark. Find ich nicht geil, aber ich hatte kein Geld, brauchte aber dringend eine neue Hose. H&M ist im Grunde nicht besser. Ich kaufe im Discounter (wenn auch kein Fleisch, ich vergesse das bei jedem Einkauf xD). Und meine Wohnung besteht mindestens zur Hälfte aus Ikea-Möbeln. Alles fragwürdige Konzerne – aber was anderes kann ich mir nicht leisten, und ich bin ja nicht die Einzige. Dennoch werde ich jedes Buch lautstark kritisieren, dass ein unterirdisches Frauen- oder Menschenbild beinhaltet, oder Rassismus, Sexismus und andere -ismen unreflektiert propagiert. Nur weil ich im Alltag auf Billig-Läden angewiesen bin heißt das nicht, dass ich meine Meinung nicht mehr äußern darf 🙂 Verstehst du, was ich meine?
          Worauf ich allerdings immer versuche zu achten, egal, wie scharf mein Ton ist: nicht persönlich werden. Das eine ist ein Buch, das ich kritisch sehe aber andere toll finden. Das andere sind Menschen, die mehr sind als eben dieses eine Buch.

          1. Ich meinte ja auch nicht, dass man generell nur kritisieren darf, wenn man ALLES kritisch sieht. Aber bei den Äußerungen handelte es sich um Blogger, die wirklich jeden noch so kleinen Aspekt komplett auseinander nehmen, ellenlange Texte darüber schreiben und den Moralapostel spielen.

            Klar, ich verstehe was du meinst, aber ich habe wie gesagt bestimmte Blogger und bestimmte Äußerungen im Sinn. Und da passt das für mich einfach nicht zusammen. Und genau das ist es, es werden auch die Leser angegriffen, ebenso ihr “Job” und ihre Verantwortung als Blogger. Letztendlich kann jeder lesen was er möchte.

            Aber generell finde ich es auch gut, wenn man sich mit Büchern kritisch auseinandersetzt. Aber ich möchte es immer noch genießen können.

  3. Also, ich hab ja auch einige “Kritik” mitbekommen und bei den Reverse Racism-Vorwürfen brodelt es immer noch in mir, aber „Dennoch denke ich dass diese Geschichte in den Händen eines besseren und erfahreneren Autors vielleicht ein wenig besser aufgehoben gewesen wäre als bei einer Erstlings-Autorin.“?!?! WTF.
    Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass ein Buch, das binnen so kurzer Zeit so populär wird, auch unberechtigte “Kritik” erntet. Ich für meinen Teil habe das Buch geliebt, zähle es ebenfalls zu meinen Jahreshighlights und werde es in Kürze auch nochmal auf Deutsch lesen und dann endlich auch eine Rezension dazu verfassen – diese hurt white feelings-Rezensionen dürfen nicht Überhand nehmen. Danke für deine gelungene Rezension!

    1. Sag mir auf jeden Fall bescheid, wenn du die Rezension veröffentlichst. Ich habe verzweifelt danach gesucht, weil ich dich verlinken wollte 😀

      Natürlich bekommen populäre Bücher immer auch negative Kritik, ob nun gerechtfertigt oder nicht, aber die Kritikpunkte, die ich gelesen (und hier auseinander genommen habe, wie ich hoffe), waren einfach an den Haaren herbeigezogen, bzw. die Leute haben einfach nicht verstanden, worum es geht. Wenn ich diesen Rezensionen etwas entgegensetzen konnte, freut es mich.

  4. Guten Morgen Mareike,
    Ich hab das Buch zu meiner Schande immer noch nicht gelesen. Deine Rezension hast du wirklich toll geschrieben, weil du auf die Kritikpunkte von anderen Menschen eingehst. Die Kritik ist ja wirklich bescheuert. Ein Autor der mehr erfahren ist? Hää? Ich wusste bisher nich gar nicht, dass The Hate U Give ein Debut Roman ist. Ich sollte das Buch wirklich mal lesen, sonst sperrt ihr mich bei der FBM in ein Zimmer mit Sailor Moon und diesem Buch 😀
    Viele Grüsse, Julia

    1. Also, wir würden dich NIE auf der FBM einfach irgendwo einschließen, immerhin sollst du ja mit uns auf die Messe gehen. Könnte aber sein, dass wir deinem Schaffner auf der Rückfahrt sagen, dass du erst aussteigen darfst, wenn du das Buch wenigstens angefangen hast 😀

  5. Das Video war schockierend, auch wenn ich nicht alles verstanden habe. (Gibt es das Video auch in Deutsch?) Traurig wenn man den Kindern beibringen muss was sie machen sollen damit sie nicht in Gefahr gebracht werden. Das Buch klingt sehr interessant. Wann erscheint es denn in Deutsch?

    1. Da war die Hanna schneller mit den Datum. Ich musste gestern noch arbeiten, deswegen bin ich nicht mehr dazu gekommen, dir zu antworten, entschuldige.

      Das Video gibt es soweit ich weiß nicht auf Deutsch. Im Großen und Ganzen erzählen die Eltern/älteren Geschwister den jüngeren, was sie mit der Poliezi erlebt haben oder wie sie sich verhalten sollen, und die Kinder sind einfach schockiert. In Deutschland gibt es das Racial Profiling inzwischen ja auch 🙁

        1. Hahaha, danke. Es gibt leider immer mal wieder Menschen, die sich wundern, warum man nicht innerhalb von wenigen Minuten antwortet 😉 Deswegen schicke ich die Entschuldigung inzwischen fast standardmäßig raus.

          Was die Polizei angeht: Ich verstehe, was du meinst. Ich fühle mich meistens sofort unwohl, wenn ein Streifenwagen neben mir fährt oder ich auf mehr als einen Polizisten, was aber auch an meinen persönlichen Erfahrungen mit der Polizei liegt. Ich bin vom äußeren her eindeutig einem gewissen politischen Spektrum zuzuordnen und werde in der Regel dementsprechend behandelt. Dennoch ist es etwas ganz anderes, wenn ich auf einen schlecht gelaunten Polizisten treffe (ich bin weiß, blond, typisch deutsche Kartoffel), oder wenn mein Kumpel mit italienischen oder meine Freundin mit ghanaischen Wurzeln – oder noch schlimmer, ihr Bruder, mit der Polizei zu tun haben. Caroline hat hier in den Kommentaren ein bisschen von den Erfahrungen ihrer Töchter berichtet, die eben nicht weiß sind. Das ist einfach ein anderer Schnack.

          1. Ja ich kenn auch noch die Angst vor der Polizei, seit meiner Kindheit. Ich weiss allerdings nicht warum. Mir wird auf jeden Fall immer ganz komisch, dabei habe ich noch nie etwas angestellt. Hört sich für viele bestimmt total lächerlich an, ist aber so. Bei den meisten Menschen wünsche ich mir einfach mehr Respekt der Polizei gegenüber.

      1. In gewisser Form gibt es das schon recht lange. Nicht nur durch Polizei, auch durch Kaufhausdetektive, Verkaufspersonal usw.. Zwei meiner Kinder stammen aus Sri Lanka, eine Nichte ebenfalls. Wir haben da so einiges erleben müssen. Wie oft musste ich eingreifen, mussten die “weißen” Brüder Schwestern und Cousine beschützen, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. Die Sorgen und Gedanken kann man sich als blütenweiße Familie kaum vorstellen. Das Gefühl der Entwertung und Beschmutzung, das meine Mädels oft empfunden haben, tun weh und machen außerordentlich wütend.
        Meine Nichte hat mit ihrer Tochter vor einem Jahr Freunde in den USA besucht. Die Behandlung, Verdächtigen, Mutmaßungen und Durchsuchungen an beiden Flughäfen waren entwürdigend (auch schon in Frankfurt). Noch schlimmer war die Situation, als sie in einem Supermarkt dort einkaufte und, da ihre Kreditkarte nicht anerkannt wurde, mit einem 100 Dollarschein bezahlen wollte. Sie wurde festgehalten, musste Papiere und Geldbörse vorzeigen, Adresse und Tel.-Nr. der Freunde wurden überprüft – dann erst konnte sie gehen.
        Übrigens wurden die Mädchen in D. sofort anders behandelt, wenn sich herausstellte, dass sie adoptiert waren, was sie ob der Ungerechtigkeit noch mehr beschämte.
        Hier meine weiße Perspektive: Wer es nicht selbst erlebt hat, kann es nicht beurteilen. Die einen fühlen sich ein, die anderen verdrängen und beschönigen weiter. Verunsicherung und innere Zerrissenheit kann ich ausdrücklich bestätigen. Es ist eine menschliche (weiße) Schande und menschliches Versagen, wie mit Menschen umgegangen wird, die auf irgendeine Weise anders sind oder scheinen.
        Vor kurzem habe ich anhand einer schriftlichen Befragung meine Erlebnisse zu Racial Profiling ausführlich geschildert.

        1. Diesen Alltagsrassismus gibt es natürlich schon viel länger, was ihn nicht weniger ekelhaft macht. Und du hast absolut Recht: als weiße Familie hat man keine Ahnung von diesem Alltag, auch wenn man sich noch so sehr dafür interessiert oder sich, wie du sagst, einfühlt. Ein Freund von mir hat das mal sehr schön auf dn Punkt gebracht, als er (ital. Wurzeln) mit einem weißen Deutschen diskutierte: “Du hast Rassismus nicht erlebt. Gesehen und Zeuge sein: ja. Erleben: nein.” Ich fand das sehr spannend und nachvollziehbar, weil Erleben etwas sehr persönliches ist.
          Insofern gebe ich dir Recht: wer es nicht erlebt hat, sei es als weiße Mutter von PoC Kindern oder als PoC selbst, kann es letztendlich nicht beurteilen. Gerade deswegen finde ich solche sehr persönlichen Kommentare von dir sehr bereichernd! Vor allem, wenn ich Diskussionen habe à la “Also, in meinem (Touristen-)Dorf gibt es keinen Rassismus. Gibt es das überhaupt noch in Deutschland?”, und ich mir die Haare raufen möchte ob dieser Selbstzetriertheit und Realitätsferne. Vielen Dank, dass du deine Erfahrungen teilst 🙂 Kann man die Befragung eigentlich lesen? Also, war es für eine Zeitung oder so?

          Alles Liebe, auch für deine Töchter und Nichten,
          Mareike

          1. Hier habe ich meine Nichte rausgelassen, weil ich ihr einen eigenen link geschickt hatte:
            Hallo Frau Kambhampati,

            meine Erfahrungen beruhen auf Erlebnissen und Beobachtungen, die ich als Mutter, Freundin und zufällige Zeugin verschiedener Vorfälle gemacht habe. Da diese mich sehr betroffen, ja teilweise wütend gemacht haben und ich die Folgen solcher Behandlung bei ehemaligen Schülern gesehen habe, bezeichne ich mich als Betroffene. Einige dieser Begebenheiten liegen bis zu 25 Jahre zurück. Das ist kein neues Phänomen.

            – Ich habe fünf Kinder, drei blonde Söhne, zwei braune, schwarzhaarige Töchter., die aus Sri Lanka stammen. In unserem kleinen uberschaubaren Ort wuchsen die Mädchen weitgehend geschützt und akzeptiert auf. Nachdem sie älter geworden waren und sich außerhalb dieses Rahmens in größeren Städten bewegten, ist vor allem die ältere sehr oft aus dem Kreis von Begleitern und Brüdern herausgezogen und kontrolliert worden. Der anmaßende und abwertende Umgang bei diesen Kontrollen hat sowohl sie selbst als auch die Begleiter/Brüder bestürzt und bei dem Mädchen für Scham und Verunsicherung gesorgt, obwohl nach einem Blick auf Ausweis und deutschen Nachnamen die Angelegenheit relativ schnell erledigt war. Ein Freund unserer Söhne, der aus einer gemischten Ehe stammt, wurde natürlich ebenso behandelt. Das Gefühl der Demütigung und Angst vor weiteren Kontrollen blieb erhalten. Es gibt keine Gewöhnung an Willkür und Ungerechtigkeit.

          2. Zu früh abgeschickt:
            Mit meiner jüngeren Tochter habe ich andere Formen des racial profiling erlebt und zwar in Kaufhäusern. Da sie schwer krank wurde, war sie meist in meiner Begleitung. Wenn sie sich von mir entfernte und sich Produkte alleine ansah und kaufte, musste ich öfter beobachten, wie sie von Kaufhauspersonal offen misstrauisch beobachtet und verfolgt wurde, Kaufhausdetektive ihre Tasche durchsuchen wollten oder sie ihre Geldbörse zeigen sollte, um zu sehen, ob sie überhaupt Geld genug dabei hätte. Natürlich habe ich dann eingegriffen. Auch hierbei Gefühle von Demütigung, Minderwertigkeit, Scham und Bestürzung sowie auch Zorn – bei uns beiden.

            – Empörung und Bestürzung habe ich auch empfunden, wenn dunkelhäutige Freunde von uns aus der Gruppe herausgezogen, in abfälliger, überheblicher Weise angesprochen und anschließend kontrolliert und befragt wurden. Dies geschah vor Restaurants, an Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen und in Ladengalerien.

            – Am meisten und richtig wütend macht mich, wenn ich sehen muss, wie Gruppen von fast noch Kindern, plötzlich eingekreist und dermaßen unwürdig behandelt werden. Ich sehe ihre erschrockenen, angstvollen Blicke während sie mit dem Rücken gegen Mauern stehen und ihre Taschen ausleeren müssen. “Mit dem Rücken zur Wand” ist ja ein deutsches Sprichwort für eine bedrohliche Situation, aus der es kein Entkommen gibt. So habe ich das stets empfunden. Das ist für mich nicht auszuhalten und ich greife dann ein. Manchmal bin ich ruhig genug, um mit den meist jungen Beamten zu sprechen und ihnen Fragen zu stellen. Manchmal aber auch ist das Verhalten so gemein, spüre ich den Schmerz der Kinder so stark, dass ich die Polizisten anschreie: “Lassen Sie doch endlich die Kinder in Ruhe, die haben doch gar nichts getan!” Dann gibt es hitzige Diskussionen und man will mir klarmachen, das ginge mich nichts an. Aber alles, was in meiner Gesellschaft geschieht, geht mich etwas an, besonders dann, wenn es mich verstört und gewalttätig und ungerecht ist. Vor allem sehe ich die Folgen. Aus Scham und Demütigung wird Zorn und Wut. So schraubt sich die Spirale immer höher. Ja, “mit dem Rücken zur Wand” beschreibt es gut, dieses Gefühl. Mir selbst ist außer leeren Drohungen noch nie ein Nachteil durch mein Verhalten entstanden. Das wäre sicher anders, wenn ich “ausländisch” aussehen würde. Eine weitere Ungerechtigkeit.

            – Meines Erachtens sind nicht Kontrollen das Problem. Oft sind sie sicher notwendig und sinnvoll. Es ist die Art und Weise, wie sie meist – nicht immer und nicht von allen Beamten – durchgeführt werden. Es sind die entwürdigende, fast überfallartige Art, die Drohgebärden, die abfällige Sprache, die eine Schuld fast voraussetzt, die für die Beteiligten so demütigend sind. Ich glaube, dass es die Übermittlung in der Ausbildung ist, die Anmaßung – mittlerweile auch schon bei normalen Verkehrskontrollen – als Grundton einreißen lässt. Ein weiterer Grund könnte auch eine gewisse Angst der Polizisten sein, die ja in der gesamten Bevölkerung permanent geschürt wird und von der sie natürlich auch nicht frei sind. Ich glaube diese schon in einigen Augen von Polizisten gesehen zu haben. Der heutige durchschnittliche Beamte ist nicht mehr der “Freund und Helfer”, nicht mehr der, zu dem man Vertrauen hat und der eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat. In meiner Jugend war das noch der Fall. Er sieht sich das auch nicht mehr als seine Aufgabe an. Auch eine Folge der Ausbildungsinhalte. Jeder ist grundsätzlich ein Verdächtiger. Das finde ich sehr bedauerlich.

            Wenn Sie weitere Frage haben, schreiben Sie mir.

  6. Deine Rezension ist großartig! Du hast all unsere Gedanken super zusammen gefasst und erklärt! Liest sich übersichtlich und verständlich. Auch kann ich deine Wut wegen der “Kritik” absolut verstehen. Urghs, die haben es echt nicht verstanden…

    Und vielen, lieben Dank fürs Verlinken! 🙂

    LG
    Hanna

  7. Moin!
    Danke für diese Rezension, sie ist mindestens genauso fantastisch wie das Buch selbst.
    Der Hype um das Buch ist wirklich gerechtfertigt, meiner Meinung nach eine Pflichtlektüre – mindestens für junge Menschen.
    Die Kritik an dem Buch kann ich nicht nachvollziehen. Die Menschen haben sich offensichtlich nicht richtig mit dem Thema, Autorin und logischem Menschenverstand auseinander gesetzt. Wie das halt so ist, man kann es nicht allen Recht machen.
    Liebe Grüße,
    Elli

    1. Hallo Elli!
      Es fehlt auf jeden Fall die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus und Privilegien, die man als Weiße/r besitzt. Auf der anderen Seite macht mich die Arroganz, mit der manche Leute kommentieren/rezensieren beinahe Sprachlos…

      Ich freue mich schon auf die Lesung mit Angie Thomas ^_^
      Cheerio,
      Mareike

  8. Hallo Mareike,
    wow, man merkt es an jeder Zeile wie sehr dich dieses Buch und die Geschichte beschäftigt hat. Es scheint wahrlich ein Buch zu sein das unter die Haut geht. Definitiv ein Buch für mich und ich weiß jetzt schon das ich mich aufregen werde.
    Deine Rezension ist so ehrlich und einfach nur großartig.
    Wünsche dir einen tollen Tag
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Ahoi Kerstin!
      Sorry für die späte Antwort 🙁
      Ja, das Buch geht unter die Haut, und ich kann es nur immer weiter empfehlen. Aufgeregt habe ich mich auch, vor allem eben über die Weißen im Buch oder auch über einige Rezensionen. Wenn ich dann daran denke, wie viel Rassismus auch in Deutschland Gang ung Gebe ist, fühle ich mich fast ohnmächtig. Es ist einfach ein wichtiges Thema, und auch wenn Black Lifes Matter eher eine us-amerikanische Bewegung ist, kann man gerade die zwischenmenschlichen Situationen auch in Deutschland beobachten.

      Cheerio
      Mareike

  9. Liebe Mareike,

    das Buch habe leider bisher immer noch nicht gelesen, aber dank deiner Rezension ist es jetzt definitiv noch weiter auf der Leseliste nach oben gerutscht. Ich finde es großartig, dass dieses wichtige Thema seinen Platz in einem Jugendbuch gefunden hat. Bisher habe ich gar keine negative Kritik mitbekommen und bin sehr überrascht, über was sich da manche wieder aufregen. Ich verstehe, dass du dich darüber aufregst. Ich kenne das Buch bisher ja nicht, aber du widerlegst die Argumente sehr gut.

    Ich habe das Buch nur auf englisch und hoffe, dass ich es dennoch gut lesen kann. Ansonsten werde ich es mir auf jeden Fall auf deutsch holen, denn ich möchte es unbedingt lesen.

    Liebe Grüße
    Charline

  10. Hallöchen,
    ich habe das Buch auch letzten Monat gelesen und fand es auch wirklich gut. Teilweise schockierend oder gut. Ich muss zugeben, dass Rassismus für mich nie ein Thema war, weil in meinem Umfeld tatsächlich nur „Weiße“ sind. So blöd das klingt. Was mir vor diesem Buch nicht wirklich bewusst war, ist, dass Rassismus genauso anders herum vorkommt. Dass gemischtrassige Paare es bei ihren Familien schwer haben, das kannte ich auch Filmen, aber dass die Schwarzen auch so extrem gegen Weiße sein können … das war mir bis dahin einfach nicht bewusst, obwohl das eigentlich total logisch ist.
    Von dem Video bin ich ehrlich gesagt ein bisschen geschockt. Ich dachte, dass das so eine Besonderheit im Buch ist, dass Starr als Kind eingetrichtert bekommen hat, wie man sich vor Polizisten verhält. Aber dass das wirklich so ist in vielen dunkelhäutigen Familien … das schockiert mich gerade ein bisschen.
    Zu den Kritiken … eine weiße Perspektive hat mir auch nicht gefehlt. Ich frage mich gerade, wie man die hätte einbauen können, denn es passt einfach nicht. Es geht um Starrs Familie … soll sie eine mysteriöse weiße Zwillingsschwester haben?
    Oh mein Gott, von diesem Reverse Racism bin ich gerade auch geschockt. So eine dumme Erwiderung! Wo ist das in dem Buch so? Starr geht auf eine weiße Schule und hat weiße Freunde. Sie hat nichts gegen Weiße. Leute, die sowas sagen sind Dummschwätzer, die keine Ahnung haben. Wir können uns doch nicht mal ansatzweise vorstellen, wie sich Rassismus anfühlt! Das einzige mal, wo ich damit konfrontiert wurde, war in England. Da hat uns ein Marktverkäufer vom Platz gescheucht, weil wir Deutsche waren. Aber das war einmal … Schwarze erleben das teilweise täglich. Wie können sich Weiße also erlauben, sowas zu sagen?
    Der letzte Kritikpunkt ist wirklich absolut lächerlich! Thomas schreibt ja von eigenen Erfahrungen. Und sie hatte nunmal die Idee zu diesem Buch. Es gibt nunmal keine Ideen-Tauschbörse für Autoren.
    Mein Kritikpunkt am Buch ist eigentlich nur, dass ich das Ende zu Jugendbuchmäßig fand. Das war so ein Happy End, das meiner Meinung nach nicht ganz gepasst hat. Klar, Khalil hat noch keine Gerechtigkeit, das ist mies, aber bei Starr und ihrer Familie läuft alles am Ende ziemlich gut und ihr Vater findet Chris auch nicht mehr so schlimm. Das war für dieses Buch zu viel auf einmal, finde ich.
    Tolle Rezension!
    Liebste Grüße
    Kate ♥

  11. Tolle Rezension – ich habe das Buch inzwischen auch gelesen und bin völlig deiner Meinung. Es kam aber mit “Black Lives Matter” auch gerade zum richtigen Zeitpunkt, jedenfalls für mich.

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