Titel: Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben
Autor: Matt Haig
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-28071-6
Wertung: 5/5
“Leid ist kein Leistungssport”
In Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben berichtet Matt Haig von seiner Depression und seinen Angstzuständen, wie sie das erste Mal auftraten und ihm das Leben zur Hölle machten, wie sie sein Leben in den letzten Jahren begleiteten und wie er heute mit ihnen lebt. Er erzählt nicht chronologisch, sondern eher episodisch. Vor allem ist er ein großer Freund von Listen, was man auch an den vielen merkt, die sich in diesem Buch finden. Mal zählt er alle seine Symptome auf, “Dinge, für die man mir mehr Mitgefühl entgegenbrachte als bei der Depression”, oder “Was Leute zu Depressiven sagen, was sie in anderen lebensbedrohlichen Situationen nie sagen würden”. Er erzählt, wie ein Gang zum Kiosk um die Ecke zur Leistung des Monats werden kann, und wie ihm seine damalige Freundin und heutige Ehefrau unterstützt hat. Vor allem Berichtet er davon, wie er dachte, dass es nie besser werden würde, und dass es eben doch langsam, ganz langsam besser wurde. Er hat keinen Masterplan, um aus dieser Krankheit rauskommen, und das sagt er auch nicht. Matt Haig macht etwas viel Wichtigeres: Er gesteht jedem sein eigenes Leid mit der Krankheit zu ohne zu belehren, und am Ende gibt er Hoffnung, dass man eine Depression überleben kann.
“Der Unterschied zwischen Depression und Traurigkeit ist ungefähr so groß wie der zwischen wirklichem Verhungern und leichtem Appetit”
Allerdings macht Haig auch deutlich, dass eine Depression kein Spaziergang ist. Es ist ein Kampf um das eigene Leben, mal nur um die rudimentärste Lebensqualität, oft genug aber auch um Leben und Tod. Diese Kämpfe werden wöchentlich, täglich, stündlich ausgefochten. Ein stetes Ringen mit einem selbst um jeden Moment.
Haig zeigt damit klar, dass diese Krankheit gefährlich und nicht mit Traurigkeit zu verwechseln ist. Wie oft hört man Menschen sagen “Ach, ich bin auch manchmal voll depri”, oder “Du musst nicht traurig sein, denk einfach an etwas Schönes, dann läuft es schon wieder!” Die Beispiele sind endlos. Allerdings führt ein Gefühl von Traurigkeit in der Regel eher nicht zu Selbstmord, bei Depressionen gehören Suizidgedanken, Versuche und erfolgreiche Suizide jedoch fast mehrheitlich zum Krankheitsbild.
Als ich die ersten Rezensionen zu diesem Buch las, dachte ich “Kein Buch kann so gut sein, schon gar nicht zu diesem Thema.” Ich habe mich geirrt. Der Stil ist leicht, direkt und schnörkellos. Die kurzen Kapitel machen das Lesen leicht, was angesichts der Thematik eine Erleichterung ist. Auch die Listen zwischendurch lockern den Text und schaffen vor allem eins, was man bei einem Buch über Depressionen nicht unbedingt erwartet: man lacht. Laut und herzlich.
“Am Ende braucht man mehr Mut, um zu leben, als um sich umzubringen. – Albert Camus”
Man fühlt sich bei diesem Buch verstanden und entwickelt für andere Betroffene Verständnis. Man bekommt eine Idee von dem, was an Depression erkrankte Menschen am Tiefpunkt der Krankheit fühlen und warum manche keinen anderen Ausweg als den Tod sehen. Das ist traurig und verstörend, aber wichtig, um diese Krankheit, die nach wie vor belächelt und stigmatisiert wird, besser zu verstehen.
Ich bin davon überzeugt, dass dieses Buch nicht nur Betroffenen helfen kann und wird. Auch Angehörige, seien es Freunde, Familie, Lehrer, Arbeitskollegen bekommen einen Einblick in diese Krankheit, wie ihn bei weitem nicht alle Betroffenen formulieren können.
“Depression ist immer kleiner als du, auch wenn sie dir riesig vorkommt.”
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Herzlichen Dank an den dtv, der mir freundlicher Weise das Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Danke für die aufschlussreiche Rezension! Scheint, als müsste ich mir das Buch doch noch zulegen. 🙂
Allerliebste Grüße, Sandy von BlackTeaBooks ☕
Wenn dich das Thema interessiert, auf jeden Fall. Meiner Meinung nach ist es bisher in Sachen Erfahrungsberichte unerreicht!
Matt Haigs Stil gefällt mir auch unglaublich gut. Ich bin sicher, dass dieses Buch auch ganz toll geschrieben ist und als betroffener, wird er das Thema entsprechend vermitteln – eben auf seine Weise.
Genau das macht er. Ich empfehle es immer noch, sobald mich jemand nach Büchern zum Thema fragt 🙂