Zur Zeit, und schon seit Jahren, laufe ich mit Freuden in Hotpants oder Miniröcken rum, in Leggins, Stulpen und zerschnittenen Shirts. Ich habe Piercings im Gesicht, und am Körper so viele, dass ich beim Zählen manchmal durcheinander komme. Ich bin tattoowiert, nicht am Steiß, dafür an sichtbaren Stellen – und ich habe noch keinen bodenständigen, festen Job. Ich mag mich in meinen Klamotten so, wie ich bin. Mein Äußeres lässt auf bestimmte Schubladen schließen, wenn auch nicht immer richtig, und auch nicht völlig abdeckend. Jemand meinte mal zu mir, dass man schon anhand meines Äußeren auf eine bestimmte politische Richtung schließen könne, wenn auch nicht auf den Radikalitätsgrad, aber ehrlich gesagt ist mir das ziemlich gleichgültig.
Heute hatte ich nun dieses Gespräch mit einer mir nahestehenden Person (auch aus einer linken Subkultur) über Kleidungsstil und Alter. Wir kamen darauf, als ich bei einer Mailorder neue (politische) Patches bestellen wollte, und mein Gesprächsgegenüber meinte: “willst du wirklich deine Kohle für Patches rauswerfen, die du eh in 2-3 Jahren wieder abmontierst?” Als ich daraufhin meinte, dass der Tag, an dem ich meine Patches abnehme auch der Tag ist, an dem ich keine zerschnittenen T-Shirts mehr tragen werde, bekam ich folgende Antwort: “der Tag kommt, oder du wirst irgendwann einfach nur noch als Dauer-Teenie belächelt werden”, und: “die Frage ist, willst du dich dabei [erwachsen werden] lächerlich machen und bis 45 in zerrisenen Shorts und Ramones-Shirt rumlaufen”. Mit anderen Worten: Wenn ich nicht so langsam anfange, etwas “normaler” rumzulaufen, werde ich irgendwann nicht mehr für voll genommen.
Man brauche keine Buttons und keine Patches, hieß es weiter, um politisch zu sein, sondern es käme darauf an, was im Kopf passiert. Da hatte mein Gesprächspartner durchaus recht, das bestreite ich nicht, und es ist auch nicht das erste mal, dass ich sowas höre. In einem Gespräch mit einer anderen Person hieß es, dass ich mich und mein Dasein ausschließlich über mein Äußeres transportieren und und definieren würde, und dass ich nicht normal rumlaufen könne, weil ich mich dann unwohl fühlen würde. Dabei müsse man seine Überzeugungen ja gar nicht so offensichtlich nach außen tragen, es reiche ja, wenn man selbst weiß, was man denkt. Was “normal” ist, müsste nochmal genauer definiert werden, aber ich gehe davon aus, dass schlichte Jeans, niedliches/weibliches Top und eine Jacke samt Handtasche gemeint waren. Aber es stimmt. Ich trage nur Kleidung, in der ich mich wohl, in der ich mich wie “ich” fühle, das hat gar nichts mit “Überzeugungen nach außen tragen zu tun”. In einem Kostüm oder Anzug, in einem Rüschentop oder T-Shirt mit zweifelhafter Aufschrift fühle ich mich nunmal ebenso unwohl wie in High Heels und Riemchensandalen. (Okay, High Heels gehen durchaus mal klar, aber dafür muss ich in Stimmung sein.)
Zurück zum Thema: ich fühle mich derzeit in und mit meinem jetzigen Kleidungsstil wohl. Und ich sage nicht, dass ich meinem späteren Job nicht entsprechend gekleidet sein werde und will, sprich: Anzug und Krawatte bzw. High Heels. Dann bin ich im Kopf immer noch die Gleiche, auch ohne meine Hotpants. Trotzdem wird sich dieser Kleidungsstil nur auf meinen Job, nicht aber zwingend auf mein Privatleben auswirken. Vielleicht wird der Kleidungsstil, den der Job ggf. mit sich bringt, aber AUCH ein Teil von mir, wer weiß das schon?
Was mich aufregt: ich habe den Gesprächen zufolge irgendwann – nehmen wir der Einfachheit halber das magische Alter 30 – aufzuhören, so rumzulaufen wie jetzt und mich den gesellschaftlichen Konventionen anzupassen. Ansonsten werde ich als Dauer-Teenie belächelt, als ewig Gestrige, die nicht einsehen will, dass sie schon lange keine 20 mehr ist. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: bis Ende 20 haben wir Zeit, Revoluzzer zu sein UND auch noch so auszusehen (inkl. sämtlicher modischer Fehlgriffe), uns auszutoben, die Gesellschaft zu kritisieren und mit dem Bier in der Hand gegen Rassismus, Sexismus, Diskriminierung jeglicher Art und vor allem gegen das System zu demonstrieren. Ab 30 haben wir uns aber gefälligst anzupassen, dann ist die Geduld der Gesellschaft am Ende und wir haben massenkompatibel zu sein. Das gilt für Klamotten ebenso wie diese komischen Metallsplitter im Gesicht, die wir uns in unserem jugendlichen Leichtsinn haben stechen lassen. Die Bilder sind ja leider auf ewig unter der Haut, zumindest solange das Lasern nicht zu Aldi-Preisen zu haben ist. Scheiß drauf, dass all das vielleicht ein Teil unserer Identität ist, ein Teil des Weges, den wir bisher beschritten haben und genauso zu uns gehört wie unsere Haarfarbe und bestimmte Charaktereigenschaften. Aber ebenso wenig wie ich am Stadioneingang meine politischen Überzeugungen abgebe und gegen Nazis in der Kurve bin, werde ich sie auch nicht schlagartig an meinem 30. Geburtstag verlieren, meine derzeitige Garderobe verbrennen und mich komplett neu hochglanzmagazinkonform einkleiden. Ich bin jetzt gegen gewisse gesellschaftliche Konventionen bzw. finde sie überholt und schon längst nicht mehr an der Realität orientiert, und das werde ich ziemlich sicher auch noch in einem Dreivierteljahr so sehen.
Ich meine, viele in der sog. linken Szene kämpfen für LGBT- und Queer-Rechte, und dafür, dass biologisch männliche Menschen Kleidungsstücke anziehen können, die man traditionell eher dem weiblichen Geschlecht vorbehalten hat, ohne dass sie dafür verurteilt werden. Aber wie heuchlerisch ist das, wenn die Kleidungsstilfreiheit nur bis Ende 20 gilt? “Natürlich kannst du dieses Kleid anziehen, aber wenn du in die 30er kommst, hast du dich bitte anzuziehen wie jeder Bio-Mann auch. Das, oder du wirst wegen deiner Exzentrik belächelt werden, such’s dir aus.” Ab 30 oder vielleicht einem geringfügig höheren Alter ist die Zeit des Revoluzzer-Daseins, des Protestierens gegen die Gesellschaft, der Träume und Utopien anscheinend vorbei…
Nun kann man einwenden, dass es wichtigere Fragen gibt als “Darf ich mit 30 noch in Hotpants und zerschnittenen Shirts rumlaufen?” Allerdings ist in meinem Alter der Kleidungsstil nicht mehr einfach nur etwas, um den Körper zu bedecken, sondern in der Regel Ausdruck der persönlichen Identität und Individualität (Ja, auch wenn die Hotpants von H&M, das Shirt von einer massenkompatiblen Band und die Schuhe von Deichmann sind). Hier nun einzugreifen und zu sagen “Ab dann und dann musst du aber etwas anderes, etwas normaleres, etwas gesitteteres tragen” sagt vor allem: “So wie du bist und aussiehst, bist du nicht okay. So bist du nicht perfekt. So bist du falsch.” Das ist ein fatales Signal. Es bedeutet, dass man nur dann in Ordnung und ernstzunehmen ist, wenn man sich in langer Sicht eben doch der Massengesellschaft anpasst.
Ist das echt alles, was die (ehemals) radikale Linke meiner Generation an Zukunfts- und Lebensperspektive für mich hat? Egal, wie sehr ich jetzt gegen bestimmte Systeme und -Ismen bin, irgendwann werden die nur noch als jugendliche Leidenschaften und Verirrungen angesehen, und wenn ich mich von ihnen nicht lossage, bin ich eben unerwachsen und realitätsfern? Wie trostlos, wie elend ist das denn, wenn man mir jetzt schon ankündigt, dass ich irgendwann ein Stück, vielleicht sogar alles von mir aufgeben und verraten muss, damit ich nicht als völlig unzurechnungsfähig und unerwachsen dastehe? WOLLT IHR MICH EIGENTLICH ALLE VERARSCHEN?
Wieso sollte man “erwachsen/ernstzunehmen sein” am Kleidungsstil und äußerem Erscheinungsbild festmachen können oder dürfen? Sind all die Eltern, die vom Hacken bis zum Nacken gepierct und tattoowiert sind, die in zerrissenen Jeans rumlaufen und vielleicht auch noch – oh GOTT – einen Iro oder Sidecut haben, etwa nicht erwachsen oder verantwortungsvoll? Macht einen ein Anzug und eine Gelfrisur automatisch verantwortungsvoller und vertrauenswürdiger? Ich denke, es kommt auf den Kopf an, und nicht auf das Äußere?
Ich werde weiterhin so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle. Und wenn das mit Mitte 30 IMMER noch Hotpants und Zecken-Shirts sind, dann ist das so. Wenn ich in zwei Monaten auf einmal Rüschentops in altrosa für mich entdecke, dann ist das so. Beides ist okay. Jedenfalls solange ich mich nicht verbiege und immer noch “ich” bin.
PS 1: Für mich ist übrigens auch okay, wenn jemand früher gefärbte Haare hatte, Nietengürtel und Lederjacke trug, und jetzt locker Modetips in der Brigitte schreiben könnte.
PS 2: Geliebter Mensch, mit dem ich die Diskussion heute hatte: ich liebe dich noch genauso wie sonst auch.