Vor ein paar Jahren habe ich auf semi literarische Weise versucht zu verdeutlichen, was ein Aktivismus-Burnout ist und wie es dazu kommen kann. Ich hatte den Text vergessen, bis heute.
Frust und Verzweiflung
Vor einigen Wochen war ich am Boden zerstört. Nach einem Autorengespräch zu einem Buch wollte ich so dringend was tun, ich wollte (und will) nicht zusehen, wie Rechte immer weiter an Macht gewinnen. Ich wollte einen Twitch-Kanal starten, ließ es aber. Zu groß waren die Gefahren, denen ich mich und meine Freundin aussetzen würde. Ich war verzweifelt, müde, ich fühlte mich hilflos und ohnmächtig. Ich sehe die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften und die Welt vor die Hunde gehen, und egal was ich mache, es wird nichts ändern.
Ich wollte schon lange wieder bloggen, Artikel schreiben, wichtige und gute Bücher vorstellen. Aber wozu? Bringt doch eh nichts. Ich schreibe (vermutlich) für eine Leser*innenschaft, die meine Meinung teilt. Vielleicht lernt die ein oder andere Person etwas von mir, aber im Großen und Ganzen ist es eben doch der eigene Saft, in dem ich brate.
Was politisches Denken und Engagement, schreiben und Präsenz auf Social Media anging, war ich fertig. Immer, wenn ich dachte, jetzt könnte ich vielleicht etwas dazu äußern, schnürte es mir die Kehle zu und mein Kopf ging sofort in den Blockademodus. Kritische Analysen und Gedanken? Keine Chance, da war nur Grillenzirpen.
Die Wendepunkte
Der Blog lag brach, deswegen hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, als ich trotzdem am Verlagstreffen zweier meiner Herzensverlage teilnahm, Edition Nautilus und dem Verbrecherverlag. Politisch, links, klar positioniert, super Programm.
Es wurden Bücher vorgestellt, die neue Wege und Perspektiven entwickeln. Die Ideen und Hoffnung geben. Und sie wurden nicht nur einfach in die Kamera gehalten, sie wurden mit einem Enthusiasmus und einer Freude präsentiert, die Balsam für meine geschundene Politikseele waren. Mit anderen Menschen über Bücher, politische Bücher, zu sprechen, tat unglaublich gut. Ich fühlte, wie mein Aktivismusmuskel zuckte. Vielleicht ist doch nicht alles so dunkel, wie ich es wahrnahm, und vielleicht ist die Gesellschaft auch nicht zum Scheitern und der Kapitulation vor den Rechten verdammt, wie ich mir in meinen Albträumen ausmalte.
Während mich das Verlagsreffen immerhin schon aus meiner Schockstarre riss, in die ich vor einigen Wochen verfallen war, konnte ich trotzdem nichts gegen die Hoffnungslosigkeit und Lethargie tun, die mich immer noch im Griff hatte. Das änderte sich erst, als ich über meinen Minijob am Symposium des DAKU, dem Dachverband der Kulturfördervereine, teilnehmen konnte. Zwei Keynotesprecher haben in mir endlich wieder etwas zum Klingen gebracht. Zum einen sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger: „Kultur ist der Seismograph des Zustandes der Gesellschaft.” Später sagte Carsten Brosda, Kultursenator der Hansestadt Hamburg: „Kultur schafft eine Ordnung der Kunst in der Vielfalt.”
Kultur als Seismograph der Gesellschaft und als Ordnung in der Vielfalt. Seismograph. Vielfalt… Dazu gehören auch Literatur, die Literaturbranche und die Auseinandersetung damit. Also genau die Themen, die ich auch auf dem Blog bespreche, die mich gleichzeitig aber auch vor einigen Wochen in mein Aktivismus Burnout haben fallen lassen.
Der anschließende Austausch mit Menschen, die sich (tlw. ehrenamtlich) leidenschaftlich für Kunst und Kultur engagieren, also den Seismographen jeden Tag austarieren, drehte sich eigentlich um Digitalisierung und Social Media – aber auch um Vernetzung untereinander, dass wir einander unter die Arme greifen und uns helfen sollten.
Und endlich, endlich machte es „Klick” im Unterbewusstsein.
Wir sind Legion
Ich habe mich in der Verzweiflung und Fehlvorstellung verloren, allein zu kämpfen. Das bin ich gar nicht. Während ich mich aus dem Politikzirkus rauszog und mich in meine Höhle verkrümelte, gab und gibt es so viele andere, die gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung einstehen. Die anderen Menschen berichten, was passiert, aufmerksam machen auf Dinge, die sonst unbemerkt bleiben. Während ich mit meinem Aktivismus-Burnout kämpfte, das erstaunlich widerspenstig und penetrant an mir klebte, blieb die Welt nicht stehen. Zum Glück.
Um die beste Band der Welt zu zitieren:
Du bist nicht allein, du bist nicht allein
Die Ärzte, Nicht Allein
Wir sind Legionen und wir werden bei dir sein
Du bist nicht allein, du bist nicht allein
Wir sind Millionen und wir werden noch mehr sein.
Ich habe erstaunlich lange gebraucht, bis ich gecheckt habe, dass etwas dran ist an der Sache mit „zusammen ist man stark”. Es bedeutet nicht nur, dass ich nicht alleine auf dem Platz stehe, um gegen die steigende Tide rechten Brechdurchfalls in der Gesellschaft zu kämpfen. Es bedeutet auch, dass wir uns Pausen gönnen können und müssen im Vertrauen darauf: The others got our back.
In diesem Sinne:
Bildet Ketten.
Bildet Banden.
Wir sind Legion.