Fangen wir ohne große Einführung direkt an, und ich kann für diplomatische Formulierungen nicht garantieren!
Gestern schrieb mir Anna von Ink of Books, dass sie für ihre jüngste Podcastfolge angegriffen würde. Warum? Die Kritik sei zu scharf, man müsse doch auch an die Gefühle der Autorin denken, dessen Buch Anna mehr oder weniger auseinandernimmt. Den ausschlaggebenden Twitter-Thread findet ihr hier.
Es mag sein, dass ich mich jetzt damit richtig unbeliebt mache, aber es brennt mir einfach auf der Seele.
Wieso leben wir in einer Welt in der wir jemanden dafür loben, dass er eine Dreiviertelstunde richtig negativ über das kreative Ergebnis eines anderen Menschen herzieht?!1/6 https://t.co/LBBB4BaGG4
— Sandra | Piglet (@PigletNherbooks) February 1, 2021
Eine scharfe Kritik ist kein Mobbing, liebe Flauschblogger*innen!
Es geht nicht darum, dass man jemanden dafür lobt, jemand anderen fertig zu machen. Man lobt jemanden für eine begründete negative Kritik. Anna ist bekannt für ihre scharfen Kritiken, wenn ihr ein Buch nicht gefällt. Und wenn ein Buch problematisch ist, wird nicht die scharfe Argumentation ausgepackt, sondern die rasiermesserscharfe. Das ist bei ihr so, bei mir so, und bei vielen anderen auch.
Positivity zu verteilen statt noch mehr Wut, Hass und Frust in der Welt zu verteilen. Falls ich jetzt keine Follower mehr habe und niemand mit mir redet, okay. Ich wollte einfach nur aufzeigen, dass hier Menschen hinter dem Buch stehen und Energie anders genutzt werden kann 6/6
— Sandra | Piglet (@PigletNherbooks) February 1, 2021
Ich habe schon lange den Eindruck, dass viele Buchblogger*innen sich nicht (mehr) im Klaren darüber zu sein scheinen, was eine Rezension im Grunde ist. Sie ist eben nicht nur eine Buchvorstellung, in der man die Handlung zusammenfasst und ein kurzes Statement “Fand ich toll, es gibt ein Lesebändchen” bzw. “Fand ich doof, und das Cover ist hässlich” dazu abgibt. Eine Rezension setzt sich mit dem Inhalt auseinander, erklärt warum man das Buch “toll” oder “doof” fand, wo ggf. Problematiken liegen oder welche gut gelöst wurden.
Bei einem Rant, der emotionalen Version des Verrisses, geht es trotz aller Schärfe nicht darum, die Autor*in anzugreifen oder „Hass und Frust“ auf selbige abzulassen, sondern um das besprochene Werk. Wenn Autor*innen da keine Grenze ziehen können zwischen geschöpftem Werk und eigener Person, die natürlich verbunden, aber dennoch zwei völlig Unterschiedliche Seiten sind, ist das nicht das Problem der Rezensent*innen. Das gleiche gilt in Bezug auf Kuscheblogger*innen, die ihre literarische Zuckerwattewelt in Gefahr sehen, wenn andere Blogger*innen mal die Wattebäuschchen beiseite lassen.
Interessanterweise kommt bei vernichtenden Kritiken in Feuilletons und anderen großen Medien niemand auf die Idee zu sagen: “Aber der arme Autor, der sitzt jetzt allein in seiner dunklen Kammer und heult sich die Augen aus.“ Niemand erklärt den Kritiker*innen, sie mögen doch bitte sanfter mit den zarten Gefühlen der Schreibenden umgehen. Warum also bei Buchblogger*innen?
Bevor jemand kreischt, ich stelle Blogs und Feuilleton auf eine Stufe: Tue ich nicht. Es sind zwei verschiedene, wenn auch ähnliche Medien zur Auseinandersetzung mit Literatur. Trotzdem frage ich mich immer wieder, warum Blogger*innen sich selbst zum Flausch verpflichtet fühlen und nur lieb und nett sein wollen, und andere in ihrer Branche ebenfalls dazu verpflichten wollen. Und warum sich Blogger*innen, die auch negative Rezensionen schreiben, sich immer wieder rechtfertigen müssen.
Die Harmoniesucht vieler Blogger*innen mit ihren Unterstellungen, negative Kritik und Verrisse beinhalteten per se Hass (wie Lea es impliziert) verwässern genau diese Begriffe. Nicht jede negative Rezension ist eine Beleidigung, nicht jede 2-Sterne-Bewertung ist Mobbing, nicht jeder Verriss ist eine Hetzkampagne gegen eine*n Autor*in.
Die Notwendigkeit von Verrissen
Scharfe Kritik und Verrisse sind wichtig! Sie sind eine Möglichkeit mit Büchern umzugehen, die einem nicht zugesagt haben, die vielleicht sogar schlecht oder problematisch sind. Solche Bücher, und ausschließlich die Bücher, nicht der*die Autor*in, bekommen von mir alles ab, was ich an Argumentation im Repertoire habe. (1)
Wenn ein Autor es notwendig findet, auf den ersten 120 Seiten zwei Vergewaltigungen und unzählige Fälle von sexueller Nötigung aneinanderzureihen, dann spreche ich das nicht mit “Entschuldigung, nur meine persönliche Meinung, vielleicht verstehe ich den größeren Zusammenhang nicht, aber ich fand diese Szenen doof” an. Damit kann keiner etwas anfangen. Ich formuliere klar und deutlich und scharf, was genau problematisch ist und was mich stört. Ein Verriss ist hier also Umgang mit der eigenen Meinung als auch Hinweis auf ein problematisches Buch für andere zugleich.
Scharfe Kritik, sofern konstruktiv, was ich auch bei Verrissen voraussetze, kann zudem auch den Schreibenden helfen. Ich habe schon mehrfach von Autor*innen gelesen und gehört, dass ihnen eine fundierte schlechte Kritik mehr geholfen habe als 10 “Ich fands so geil”-Rezensionen. Letztere sind gut für das Ego, erstere können in der Entwicklung als Autor*in helfen.
2018 habe ich innerhalb eines Monats zwei Bücher scharf kritisiert bzw. verrissen. Die Autorinnen Nora Bendzko und Liza Grimm haben es nicht als Angriff auf sich verstanden, sondern als Auseinandersetzung mit ihren Büchern. Später habe ich mit beiden ein Interview geführt, wie Autor*innen mit Kritik umgehen können. Nora hat damals etwas Wichtiges gesagt: „Ich habe mich nie der Illusion hingegeben, dass mein Schreiben der ganzen Welt gefallen könnte… wer veröffentlicht, muss auch generell mit Kritik rechnen. Manchmal ist sie gut, manchmal ist sie schlecht, und wenn es mies läuft, ist sie vernichtend…”
Ich denke, die meisten Autor*innen sind sich darüber im Klaren, dass sie nicht nur bejubelt werden. Das passiert nicht mal den Bestsellerautor*innen. Wer keine negative Kritik möchte, sollte sein Werk vielleicht lieber nur Mama zeigen.
Verfickte Harmoniesucht
Die Harmoniesucht der deutschen Buchbubble ist unerträglich. Blogger*innen tun so, als seien Autor*innen Freund*innen, nahe Verwandte oder ähnliches auf Augenhöhe. Als wären sie, die Blogger*innen, der Safe Space, der Resonanzraum für positive Rückmeldungen, in dem es nichts Negatives geben darf. Das geht inzwischen so weit, wie wir gerade bei Anna sehen, dass andere Blogger*innen für ihre Schärfe angegriffen werden, weil diese die Autor*innen verletzen könnte. Blogger*innen schwingen sich hier zur Security auf, wollen Schreibende komme was da wolle vor Negativität schützen. Die Frage ist: Warum wollen sie das? Weil sie selbst offensichtlich nichts Negatives in ihrer Sphäre ertragen? Und weil sie selbst mit Negativität nicht umgehen können, sollen alle anderen sich also bitte ebenfalls zurückhalten und nur noch mit Watte werfen?
So funktioniert das nicht. Es ist nicht die Aufgabe oder Verantwortung von Blogger*innen, die emotionale Verfassung des*der Autor*in (oder anderer Blogger*innen) zu berücksichtigen, wenn die Rezension verfasst wird, denn – NEWSFLASH – Blogger*innen schreiben die Rezension nicht für Autor*in oder Verlag, sondern für sich und ihre Leserschaft. Und da dürfen sie so scharf kritisieren, wie sie es für angebracht halten.
Rezensent*innen sind Autor*innen keine Rechenschaft für ihre Kritik schuldig, sie sind auch nicht verpflichtet, in einen Dialog zu treten, wenn sie das nicht wollen. Literaturkritik ist eine komplett eigene Kunstform, die für sich stehen kann und muss.
5/10
— Elea Brandt (@EleaBrandt) February 2, 2021
Blogger*innen, die Kuschelrezensionen mit den jeweiligen Autor*innen als Zielgruppe schreiben, Autor*innen “beschützen” wollen und auch mit fremder Kritik nicht umgehen können, sondern sich bemüßigt sehen, Bloggerkolleg*innen Hass zu unterstellen, kann ich nicht ernst nehmen.
1. Wenn ein*e Autor*in irgendwann durch regelmäßige problematische Veröffentlichungen auffällt, ist das einen Artikel wert, aber die Auseinandersetzung findet dann nicht in einer Rezension statt.
Ich weiß dem gerade nicht wirklich was hinzuzufügen, aber DANKE!! Danke, dass du es so formulierst. Ich stimme dir voll und ganz zu. Klar, Rants sind nicht unbedingt schön, aber definitiv notwendig und wenn sie fundiert sind, sehe ich in ihnen absolut kein Problem. Und dass Rezensionen von Blogger*innen vor allem für ihre Leser sind… bis die ganze Buchbranche das verstanden hat, das dauert noch 😐 Und selbst wenn ein Rant die Gefühle einer Autorin verletzen könnte… sie muss ihn ja nicht anhören?
Finde das Zitat von Nora Bendzko richtig, richtig gut.
Danke für den Beitrag 🙂
Liebe Grüße & eine schöne Restwoche,
Kat
Moin!
Ich freue mich, dass dir der Artikel so gut gefällt! Rants sind im Grunde nur für eine Person nicht schön: den*die Autor*in. Gute Rants können auch durchaus amüsant sein. Auf Goodreads gibt es immer wieder Rants mit GIFs, und die sind oft einfach unglaublich witzig.
Ich denke, es wird nie bei allen ankommen, dass Rezensionen in erster Linie nicht für die Autor*innen gedacht sind. Ich habe gerade 5jähriges Blogjubiläum gefeiert (nur für mich xD), und seit ich über Literatur blogge gibt es eine Bloggerriege, die sich weigert, schlechte Rezensionen und Verrisse zu akzeptieren…
Liebe Grüße zurück!
Mari
Hallo,
vielen Dank für diesen Artikel, er spricht mir aus der Seele. Dieses zunehmende rosarote Anmalen der Buchbloggerwelt ist etwas, was mir auch schon länger gegen den Steich geht.
Besonders zutreffend finde ich deinen Vergleich mit dem Feuilleton. Es war doch immer der Vorwurf der Feuilleton Anhänger und mit ein Grund, warum auf Buchblogger herab gesehen wurde/wird, dass Buchblogger eh immer nur positiv bewerten und sich nicht wirklich mit Büchern auseinandersetzen würden. Und jetzt bestätigen Blogger dieses Klischee auch noch von sich aus?
So kann uns doch irgendwann niemand mehr ernst nehmen, wenn man sich nicht mehr sicher sein kann, ob das die ehrliche Meinung zu einem Buch ist, oder nur leere Worte.
Solange Kritik begründet ist und sich rein auf das Buch bezieht bez. keine Autoren als Person angegriffen werden, darf sie auch mal harscher ausfallen. Ich verleihe auf meinem Blog in Anlehnung an die goldene Himbeere, die goldene Dolores und ich steh dazu. Denn auch wenn der Ton zu den Rezendionen der “Preisträger” etwas schärfer vielleicht auch an ein paar stellen zynisch ist, schreibe ich immer Begründungen dazu.
Lange Rede, kurzer Sinn, ein toller Artikel, danke.
Liebe Grüße
Miss Pageturner
Moin!
Goldene Dolores? Wieso Dolores? Umbridge? So viele Fragen, ich bin neugierig!
Ich frage mich auch, was das dieser verzweifelte Wunsch nach paradiesischem Freieden bezwecken soll, eben weil Literaturbogger*innen seit Jahren darum kämpfen, als eigenständige Literaturkritik wahrgenommen zu werden. Literaturkritik ist aber eben nicht immer nur positiv. Es gibt Blogger*innen, die auf ihren Blogs ausschließlich positive Rezensionen haben. Manche sagen, sie stellen nur Bücher vor, die ihnen gefallen haben. Sie bestätigen also im Umkehrschluss, dass es auch negative Bücher in ihrer Statistik gibt. Dann gibt es diejenigen, die sagen, sie lesen einfach keine schlechten Bücher mehr, weil sie sich und ihren Lesegeschmack so ausgezeichnet kennen. Muss man so hinnehmen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass da nie eine Enttäuschung dabei ist. Und dann gibt es noch die, die jedes Buch mit 4 oder 5 Sternen bewerten, egal, wie sch**ße es eigentlich ist und sie es fanden. Und diese Blogger*innen kann ich ihn ihren Bewertungen nicht mehr ernst nehmen. Wenn für sie jedes Buch ohne Unterschied fantastisch ist…naja…
Cheerio,
Mari
Ja, genau der Preis ist nach Dolores Umbridge benannt und damit zeichne ich besonders nervtötende Bücher aus. (Hier der Link zur Übersichtsseite)
Ich denke, es ist zum einen die Angst vor Konfrontationen und zum anderen, auch wenn das im ersten Moment paradox klingt, die eigene Unfähigkeit mit potenzieller Kritik, die auf die eigene Rezension folgen könnte umzugehen. Diese Leute scheuen Kritik in jeder Form und haben eben auch ständig Angst selbst angreifbar zu sein. Also das ist jetzt nur meine Theorie.
Ausschließlich positive Rezensionen auf einen Blog kann ich ebenfalls nicht ernst nehmen und bin daher auch einer sehr bekannten Bloggerin schon lange entfolgt, die aber genau mit diesem Konzept riesen Erfolg hat.
Klar, wenn ich all meine 300 Rezensionen zusammen nehmen überwiegen auch bei mir die 4-6 Bewertungen, aber eben, weil man im Gegensatz zum Feuilleton nichts vorgesetzt bekommt, sondern eben sich seine Bücher selbst aussucht und den eigenen Geschmack kennt. Aber, dass dann nie Flops dabei sind? Ne das glaub ich keine Sekunde. Und falls doch, ist es dennoch ein trauriges Leseverhalten, denn es bedeutet ja, dass man immer in der Komfortzone bleiben muss, um eventuelle böse Überraschungen zu vermeiden. Man kann nie etwas Neues ausprobieren, das ist doch traurig.
Oh und sorry wegen dem doppelten Kommentar. Ich schrieb das ind er Bahn und mein Internet war beim Senden kurz weg und dann wusste ich nicht mehr, ob der Kommentar angekommen war xD
Hallo,
vielen Dank für diesen Artikel, er spricht mir aus der Seele. Dieses zunehmende rosarote Anmalen der Buchbloggerwelt ist etwas, was mir auch schon länger gegen den Steich geht.
Besonders zutreffend finde ich deinen Vergleich mit dem Feuilleton. Es war doch immer der Vorwurf der Feuilleton Anhänger und mit ein Grund, warum auf Buchblogger herab gesehen wurde/wird, dass Buchblogger eh immer nur positiv bewerten und sich nicht wirklich mit Büchern auseinandersetzen würden. Und jetzt bestätigen Blogger dieses Klischee auch noch von sich aus?
So kann uns doch irgendwann niemand mehr ernst nehmen, wenn man sich nicht mehr sicher sein kann, ob das die ehrliche Meinung zu einem Buch ist, oder nur leere Worte.
Solange Kritik begründet ist und sich rein auf das Buch bezieht bez. keine Autoren als Person angegriffen werden, darf sie auch mal harscher ausfallen. Ich verleihe auf meinem Blog in Anlehnung an die goldene Himbeere, die goldene Dolores und ich steh dazu. Denn auch wenn der Ton zu den Rezendionen der “Preisträger” etwas schärfer vielleicht auch an ein paar stellen zynisch ist, schreibe ich immer Begründungen dazu.
Lange Rede, kurzer Sinn, ein toller Artikel, danke.
Liebe Grüße
Miss Pageturner
Hallo!
Danke für deinen Beitrag!
Ich muss zugeben, ich schreibe selten Rants, aber das liegt daran, weil ich recht gut meinen Buchgeschmack einschätzen kann und meistens doch eher Bücher lese, die mir gefallen. Aber es kommt natürlich immer mal vor, dass man nur 2 Sterne oder weniger vergeben kann und das dann die Rezension schlecht ausfällt. Aber solange man eine Begründung hinterher liefern kann bzw. seine Ansicht untermauern kann finde ich das vollkommen okay. Jeder darf seine eigene Meinung äußern und das ist ja eine Rezension. Meine Meinung zu einem Buch ob gut oder schlecht.
Ich persönlich schreibe auch nur Rezensionen wenn ich die Bücher komplett gelesen habe, weil ich das Gefühl habe, dass ich bei einem Abbruch keine fundierten Einblick auf den Roman habe, aber es ist auch okay, eine Rezension dazu zu schreiben, wenn man das möchte.
Ich finde es einfach furchtbar, wenn man für seine Meinung angegriffen wird. Denn bei so vielen Menschen auf der Welt, kann man nicht jeden Geschmack treffen. Stimme da Nora Bendzko voll zu!
Danke nochmal. 🙂
Liebe Grüße
Diana