Mythen gehören zu den ältesten Geschichten der Menschheitsgeschichte. Sie handeln in der Regel von Göttern, Helden, großen Abenteuern und dem Lauf des Lebens und der Welt. Jede größere (Hoch-)kultur hatte ihren eigenen Schatz an Mythen, seien es nun Griechen und Römer, Ägypter, Kelten oder die skandinavischen Völker.
Warum sind die alten Schmöker eigentlich so spannend?
Mythen sind gerade en vogue. Aus der Schule dürften vor allem die griechischen Mythen um den Schürzenjäger Zeus und seinen Olymp bekannt sein. Seit einigen Jahren bringt Marvel aber seine an die nordische Mythologie angelehnten Comichelden auf die Leinwand, und schon sind Thor, Loki und Odin wieder im Gespräch. Stephen Fry, ein britischer Komiker und Schaupieler, erzählt in Mythos die griechischen Sagen, und Fantasy Bestsellerautor Neal Gaiman hat letztes Jahr Norse Myths veröffentlicht, eine Neuerzählung der nordischen Mythen. Auch Liza Grimm hat sich der illustren nordischen Götterwelt angenommen, und schreibt aktuell an ihrem zweiten Buch, das in der Welt von “Die Götter von Asgard” spielt.
Doch was macht diese Faszination aus? Götter, die gibt’s doch gar nicht. Wenn überhaupt nur den einen, aber das diskutieren wir hier nicht aus. Vielleicht ist es das Alte, fast in Vergessenheit geratene und Verlorene, das Mysteriöse einer ausgestorbenen Religion, das die Menschen wieder in den Bann zieht. Denn das sollte man immer im Hinterkopf behalten: Odin und Thor, Athene und Aphrodite, Anubis und Horus, sie alle wurde als Götter einer Religion verehrt. Ihre Geschichten galten als reale Berichte. Und während die meisten die Bibelgeschichten relativ öde finden, mit dem hebräischen Gott und Jesus also relativ wenig anfangen können weil viel Gerede und wenig Action (so das Klischee, aber vor allem im Alten Testament und in der Apokalypse gibt’s ordentlich Ramba Zamba), scheinen die tlw. ebenso alten Geschichten um Götter, Menschen und Monster so viel aufregender. Und während in Tora, Bibel und Koran eben nur ein Gott auftaucht und ab und zu ein Engel, war’s das schon mit übernatürlichen Charakteren. Das scheint so…profan. Irgendwie sind die meisten menschlichen Probleme hausgemacht, Gott schreitet ein, spielt den Helden (mal selbst, meistens durch andere Menschen), und gut ist. Okay, an mancher Stelle hat Gott einfach gepennt, da kann man weniger den Menschen die Schuld geben, aber im Großen und Ganzen ist es so: Mensch ist sündig, Gott der große Max, olé olé.
Und dann kommen die alten Mythen aus allen Ecken der Erde mit jeweils einem ganzen Götterpantheon daher, und siehe da: sie sind alle fehlbar, haben ihre Macken und Charakterschwächen, streiten sich und brechen mal einen Krieg vom Zaun. Und genau dadurch scheinen sie den Menschen viel näher, die Weisheiten, die in den Geschichten stecken mögen, wirken nicht wie entfernte, kaum umsetzbare Ratschläge eines Gottes, den keiner sieht und hört, sondern deutlich handfester.
Odin, Osiris, Demeter, Morrigan… sie alle mögen nicht mehr angebetet werden, und keiner mag mehr glauben, dass es Hydren und Fenris gibt, aber die Mythen haben ihren Reiz. Sie spiegeln die Beziehung zwischen den Göttern und Menschen wider, und werden mit hinterhältigen Verrätern, fiesen Königen und widerwärtigen Monstern gewürzt. Hört man diese Geschichten, die oftmals nur ein Teil des gesamten Kanons sind, fühlt mich sich wie ein Schatzsucher, der auf längst verloren geglaubte Juwelen stößt.
Einführung in die Mythen von Reclam
Bei all der popkulturellen Umsetzung verschiedenster Mythen ist es manchmal gar nicht so verkehrt, sich die Ursprünge anzugucken. Loki war nicht immer so sexy wie in den Marvel Filmen, Thor ist “well, honestly, not the brightest of the Gods” (Neal Gaiman, Norse Mythology, xi), wie war das nochmal mit Zeus und Hades und den Titanen, und wieso kommt einem die Geschichte von Jesu’ Jungfrauengeburt so vertraut vor, wenn man sich ein bisschen in der ägyptischen Mythologie auskennt?
Wer da einen schnellen Überblick möchte, kann natürlich die üblichen Onlinelexika bemühen – oder einfach mal bei Reclam ins Programm gucken. Dort sind nämlich sechs schmale Büchlein zu sechs verschiedenen Mythenwelten veröffentlicht worden. Zu haben sind Ägyptische, Nordische, Keltische, Römische, Griechische und Mesopotamische Mythen. Man mag einwenden, dass die Auswahl recht eurozentrisch ist, immerhin haben u.a. auch China, Japan, Hawaii und Indien einen reichen Mythenschatz – aber was nicht ist kann ja noch werden.
In diesen um die 150 Seiten dünnen Büchern bekommt man eine handfeste Einführung in die jeweiligen Mythen. Wichtige Aspekte der Kultur, die in die Mythen eingeflossen sind, und die Komplexität mancher Mythenzyklen werden erklärt, was das Christentum mit den Mythen der einzelnen Kulturen gemacht hat und einige der wichtigsten Geschichten nacherzählt. Anders als in Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums sind diese Nacherzählungen nicht prosaisch, sondern sind eher nüchtern gehalten. Keine Ausschmückungen, keine rührselige Lyrik. Reclams Einführungen sind Sachbücher, keine Märchenbücher, und gerade deswegen so gut als Mini-Crashkurs geeignet. Wenn man so möchte, sind die Einführungen “Typisch Reclam”: gebündeltes, fundiertes Wissen auf wenigen Seiten, erschwinglich für jeden, der sich einlesen möchte. Nur auf das gelbe Cover, auf das müsst ihr verzichten.
Da ich die Römischen und Griechischen Mythen bis zum Erbrechen in der Schule hatte, und die Mesopotamische Mythologie immer wieder im Studium streifte und mich einfach nicht packen konnte, sind erstmal nur die Einführungen zu Nordischer, Keltischer und Ägyptischer Mythologie eingezogen. Ägyptische Mythologie und die ägyptische Antike faszinierten mich schon als Kind, und jüngst ist mein Interesse an dem Land wieder erwacht. Anubis fand ich immer am spannendsten, deswegen durfte er auch bei mir als Figur einziehen.
Mit Keltischer Mythologie wollte ich mich schon länger beschäftigen, auch wenn ich dem Ulsterzyklus recht sperrig geschrieben/übersetzt finde. Nordische Mythologie scheint angesichts der aktuellen popkulturellen Strömungen einfach ein Muss. Ich erinnere mich nämlich noch sehr gut an den kleinen Schock, als ich vor ein paar Jahren herausfand, dass zwischen dem Marvel-Loki und dem Mythen-Loki Welten liegen. Ich kann mir jedenfall nicht vorstellen (oder will es nicht), wie sich Marvel-Loki die Hoden abbindet und etwas dranhängt, um eine Göttin zum lachen zu bringen.
Ich finde in fast jeder Mythologie Figuren und Götter, die mich faszinieren, aber ich will dieses Wissen nicht nur punktuell, sondern umfassend haben, damit ich die anderen Figuren einordnen kann.
Wie sieht’s bei euch aus? Welches sind eure liebsten Mythenwelten? Oder findet ihr Mythen in etwa so spannend wie Ahnentafeln aus dem 12. Jahrhundert?
Titel: Ägyptische Mythen* | Autor: George Hart | Übersetzerin: Xenia Engel | Verlag: Reclam
Titel: Nordische Mythen*| Autor: R. I. Page | Übersetzerin: Ingrid Rein | Verlag: Reclam
Titel: Keltische Mythen*| Autorin: Miranda J. Green | Übersetzer: Michael Müller | Verlag: Reclam
Titel: Mythos*| Autor: Stephen Fry | Verlag: Penguin
Titel: Norse Mythology*| Autor: Neil Gaiman | Verlag: Bloomsbury
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Danke für die Rezensionsexemplare Nordische Mythen und Keltische Mythen!
Liebe Mareike,
ein sehr interessanter und schöner Blogbeitrag mit einem tollen Thema!
Mich interessieren mythische Sagen und Götter auch sehr und ich finde sie für eigene Geschichten inspirierend. Die Percy Jackson Reihe mochte ich u.a. deswegen auch so sehr. Aber mit der keltischen, nordischen und ägyptischen Mythologie beschäftige ich mich viel, viel zu selten. Das läuft noch unter dem Motto “Damit will ich mal genauer beschäftigen!” und aus “mal” wird dann “nie.” Deswegen auch danke für die Reclam Tipps, die werde ich mir mal holen.
Sagen des klassischen Altertums musste ich fürs Studium auswendig lernen und auch wenn es teilweise sehr interessant war, hatte ich auch oft einfach keine Lust mehr weiter zu lesen und war irgendwann von den vielen Namen verwirrt. Es war schwer, nicht den Überblick zu verlieren und ich habe alle Sagen für mich zum Lernen zusammengefasst. Oder zumindest die wichtigsten.
Liebe Grüße,
Yvonne 🙂
Moin Yvonne!
Ich nenne dieses “mal beschäftigen” und dann wird’s nie 😀 Und wenn du die “klassischen” Mythen bis zum Erbrechen im Studium hattest, würde ich dir tatsächlich eher die drei Einführungen ans Herz legen, die ich vorgestellt habe 🙂
Cheerio
Mareike